Montag, 13. Mai 2019

Zottels plötzliches Erwachen


Was für ein Lärm zu dieser Zeit!
Vor ein paar Tagen wachte ich durch lautes Getöse auf. Dann war es wieder ein oder zwei Minuten lang still. Danach setzte der Lärm erneut ein. Es war kurz nach 6.00 Uhr und ich dachte, Cara putzt, sie hätte ihren alten, lauten Staubsauger wieder in Betrieb genommen, weil der neue den Geist aufgegeben hat, und das kurz nach der Garantiezeit. Na, das gäbe ja ein schönes Theater. Wenn nämlich mit Elektrogeräten was nicht so funktioniert, wie es sollte, geht sie in die Luft wie dereinst das HB-Männchen. Und den armen Verkäufer im Elektrogroßmarkt würde sie so klein machen, dass er durch ein Nadelöhr passt.

Doch als der Lärm wieder losbrach, überlegte ich noch mal genau, ob das sein könnte. Cara würde doch nie morgens um 6.00 Uhr den Staubsauger anwerfen, weder den alten, noch den neuen, um den Wollmäusen den Kampf anzusagen. Das macht sie erst, wenn sie putzmunter ist, und vor 10.00 Uhr ist damit nicht zu rechnen.

Ich stand also auf, um zu sehen, was los ist. Mein Bruder kam auch ganz verschlafen aus seinen Kissen hervor und fragte: „Was soll dieser Lärm? Welche Knalltüte weckt uns um diese Zeit und auch noch auf diese Weise?“ Wir tappten in die Küche, um uns was zu trinken zu holen und ein paar Honigbonbons zu naschen. Honig beruhigt. An Schlaf war ohnehin nicht mehr zu denken, denn der Lärm ebbte zwar zeitweise ab, schwoll aber nach zwei Minuten wieder an.  
Heinrich schält sich aus den Kissen
Als wir in die Küche kamen, saß da schon Cara, verstrubbelte Haare und in einer Jogginghose sowie einem zerknitterten Shirt. Na, wenn das Karl Lagerfeld hätte sehen können! "Mann, habe ich mich erschreckt", stöhnte sie in ihren Becher mit heißem Tee. "Da wacht man auf und denkt, es ist Krieg. Ein Flugzeug nach dem anderen fliegt über unser Haus. Da glaubt man doch, wir werden aus der Luft angegriffen und es fallen gleich Bomben."

Ja, blöd, Cara hatte sich am Vorabend nicht informiert, sondern war mit Freunden unterwegs gewesen. So wusste sie nicht, dass wie jedes Jahr auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel (heißt heute: Hamburg Airport Helmut Schmidt) eine Start- und Landebahn ausfällt, weil sie instand gesetzt wird. Das hatte sie nun erst am Morgen gehört, als sie panisch das Radio angestellt hatte, um zu erfahren, was Deutschland droht. Auf jeden Fall sind wir alle sehr verstört in den Tag gestolpert, wenn wir auch froh waren, dass Krieg nicht die Ursache unseres abrupten Erwachens war.

Als sich Cara vom Schrecken erholt hatte, stemmte sie die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf: „Wie kann man solch eine Aktion am 8. Mai beginnen?“ Mein Bruder und ich fanden nichts Verwunderliches an dem Datum. Der 8. Mai war für uns ein Tag wie jeder andere, in diesem Fall ein Mittwoch. Doch Cara blieb beharrlich und meinte: „So was fängt man nicht an dem Tag an, an dem der 2. Weltkrieg beendet wurde, als die Waffen schwiegen. Meine Eltern und Großeltern haben mir davon erzählt, wie froh sie waren, als alles vorbei war, vor allem die ständige Angst vor Angriffen aus der Luft.“

Jetzt ging mir natürlich ein Licht auf. Und ich musste an all die Länder denken, in denen die Menschen so was wie heute Morgen jeden Tag erleben, nur dass es eine wirkliche Gefahr darstellt und nicht nur Lärm. Warum tun Menschen so was? Wieviel Hass muss man in sich haben, um andere töten zu wollen? Wieviel Gier muss einen antreiben, um fremdes Land besitzen zu wollen? Einer von Caras Freunden, den ich heimlich den Miesepeter nenne, sagt immer: Es gibt nichts Blöderes als Menschen! In diesem Fall gebe ich ihm mal recht.