Mittwoch, 15. April 2020

Nachösterliche Worte und ganz viel Hoffnung

Zwillingsbrüder sind sich immer nah

„Es ist vollbracht!“, sagte mein Bruder Heinrich und atmete schwer, als habe er gerade ein opulentes Mahl vertilgt. Ich finde zwar, solch große Worte stehen ihm nicht zu, hielt aber ausnahmsweise mal mein Maul, denn Ostern war für uns alle zu einer Herausforderung geworden, von der wir uns erst mal einen Tag erholen mussten, mindestens einen.

Ostern schien die Sonne, sodass man dachte, es sei Sommer. Wie schön hätte man das feiern und genießen können. Doch es war verboten, wir mussten drinnen bleiben. Mit Wehmut dachten wir an den Teddybären-Picknick-Tag vor einem Jahr. Da hatten wir uns fast gestritten, was alles an Essbarem ins Körbchen sollte und ob wir nicht ein zweites Körbchen benötigten. In diesem Jahr hätten wir wahllos in den Schrank gegriffen und einpackt, als gäbe es kein Morgen mehr.  
Kein Picknick

In ein Restaurant gingen wir in diesem Jahr auch nicht, denn die Menschen hatten Angst vor diesem Virus, das angeblich alle befallen und töten könnte, vor allem wenn man sich zu nahe käme. Also blieben die Restaurants geschlossen, die Menschen hielten voneinander Abstand und die meisten trugen sogar einen Mundschutz, als wollten sie gleich am OP-Tisch das Skalpell in die Hand nehmen und lossäbeln. Kurz gesagt, die Angst ging um und das Fest war keines, erst recht kein kulinarisches. Für Heinrich, den passionierten Kochbuchleser, die Höchststrafe. 

Cara trug es anscheinend mit Fassung. Sie hatte Glück, dass ihre liebe Freundin Maria ihr Essen brachte, und das auch noch aus einem ihrer Lieblingslokale, denn Take-away war und ist erlaubt. Cara ließ sich also bedienen. Sie sollte schließlich nicht viel nach draußen unter Menschen, zum einem wegen des Virus an sich, das den Menschen zum Feind des Menschen gemacht hat, und zum anderen weil ihre Chemotherapie noch nicht lange zurück lag. Bei all der Vorsicht, die sicher nicht unbegründet ist, hat es mich doch verwundert, wie ängstlich die Menschen plötzlich geworden sind. Sonst brauchen sie doch immer den Thrill, wie beispielsweise beim Bungeespringen. Wir Tiere sind viel öfters Gefahren ausgesetzt, durch Fressfeinde (betrifft uns Bären jetzt weniger) oder wenn uns der Lebensraum genommen wird. Vielleicht mal darüber nachdenken, ihr lieben verschreckten Menschen!

Doch ich glaube, einige tun das schon, Maria beispielsweise, oder sie hat ein großes Herz, und das auch für Tiere. Sie hat nämlich nicht nur an Cara gedacht, sondern auch für uns Bären Honig und Schokoladeneier mitgebracht. Ich sage es frei heraus, sonst wäre das stupide Herumhocken auch unerträglich geworden. 

Ob nun Festtag oder nicht, so hoffe ich doch, dass wir bald wieder von den Einschränkungen befreit werden, raus dürfen, Freunde treffen, Nachbarn besuchen können, und dass die Nachbarn nicht denken, wir Tiere übertragen das Virus. Die Fledermaus ist da im Ranking ja ganz schlecht weggekommen. Wir Bären haben noch kein Bashing erfahren. Aber man kann nie wissen, was den Virologen so einfällt. Ich bin jedenfalls auf der Hut.

Mein Bruder hat wie immer die Ruhe weg, sich inzwischen wieder seinem Hobby zugewandt und ein neues Kochbuch bestellt. In letzter Zeit hat er mit Cara fast jede Kochsendung im Fernsehen angeschaut, ob die Poletto was brutzelte, der Mälzer oder alle Sterneköche gemeinsam. Nur vor Grill den Henssler haben die beiden Halt gemacht. „Das Format gefällt mir nicht, ist mir zu hektisch“, sagten beide unisono und nickten sich zustimmend zu. Ist es nicht schön, wenn sich zwei so einig sind!

Dass Cara Kochsendungen schaute, war neu. Sie sah es als Therapie an, um wieder Appetit zu bekommen. Denn nach der Chemo kriegte sie keinen Bissen herunter, von Apfelsinen und Weintrauben mal abgesehen. Dass sie Weintrauben mochte, fand ich nicht erstaunlich, denn schließlich trinkt sie gerne Wein, wie meine Leser wissen. Doch auch Wein mochte sie in ihrer schlechten Phase nicht. Heute lacht sie darüber, denn eines Abends machte sie ein Tasting, das den Namen wohl kaum verdiente. Aus einer Mini-Flasche halbtrockenem Dornfelder schenkte sie sich ein Gläschen ein, nahm zögerlich, fast ängstlich, einen Schluck. „Geht“, murmelte sie, wobei ihre Mimik etwas anderes ausdrückte. Nach einem zweiten kleinen Schluck meinte sie: „So, nun wird das Pülleken wieder zugeschraubt und kommt ins unterste Regal.“ Ich wusste, wenn sie so etwas sagt, geht es aufwärts mit ihrem Geschmack und ihrer Genesung. 

Darum war es auch so schade, dass uns aufgrund des Virus alles Schöne an den Festtagen verboten war. Ich wäre aber nicht Zottel, würde ich in Trübsal versinken wie in einem halbvollen, klebrigen Honigfass. Durchhalten! Nicht die Hoffnung verlieren! Cara lebte bis vor kurzem lustlos in den Tag hinein und erst als sie in der letzten Woche den wunderschönen Vollmond – auch Wundermond genannt gesehen hat, glaubt sie an eine Wende (Esoterik pur, aber macht nichts!). Jetzt macht sie uns wuschig, weil sie nicht nur morgens unter der Dusche, sondern – wann immer es sie überkommt – singt: „Der Mond ist aufgegangen“. Glücklicherweise kann sie nur die ersten paar Zeilen, sonst wäre es nicht auszuhalten bei ihrer Stimme, die so gar nichts von der einer Anna Netrebko hat. Wenn es uns zu viel wird, stimmen wir brummbärig „Blue Moon“ an. Sicherlich auch kein Ohrenschmaus und gut, dass Frank Sinatra das nicht mehr hören muss. 

Doch die Lieder sind so voller Hoffnung und die sollten die Menschen trotz des Virus nicht verlieren, sonst sind sie verloren. 
Bäriger Rat: Geduld bewahren!