Sonntag, 19. Mai 2019

Zottels große Enttäuschung


Zwillingsbrüder
Heinrich legte seine Kochbücher beiseite und schaute mich lange an. „Ist was?“, fragte ich. „Genau das wollte ich dich auch fragen“, antwortete er mir. „Du lässt seit Tagen den Kopf hängen, als suchtest du auf dem Boden nach Gold. Oder sind deine Nackenwirbel so marode und können deinen schweren Kopf nicht mehr tragen?“ 

Ich hob mühsam meinen Kopf und seufzte. Heinrich ließ nicht locker: „Na, los, raus mit der Sprache! Was ist mit dir?“ 

Da sieht man mal wieder, dass wir Zwillingsbrüder sind. Niemand anderes hier hatte bemerkt, wie schlecht es mir ging. Ich zögerte noch einen Moment und sagte dann frei heraus: „Sie mögen mich doch nicht mehr.“ – „Wer sind sie?“, hakte Heinrich nach. „Na, meine Leser. Mein Comeback und ihre euphorische Reaktion darauf hatten mich motiviert wieder zu schreiben. Doch meinen zweiten Post hat keiner geliked. Also kann ich es sein lassen. War alles nur heiße Luft.“

„Also, ich schreibe zwar nicht, aber ich weiß, mit diesen Misserfolgen muss man umgehen lernen. Es ist nicht leicht, das wegzustecken und dennoch weiterzumachen. Aber das musst du. Deine Leser haben vielleicht gerade keine Zeit zu lesen, haben Probleme, schwerere als du. Oder sie zermartern sich das Hirn, welcher Partei sie bei der Europa-Wahl ihre Stimme geben sollen. Das weißt du doch nicht. Das können alles Gründe sein, warum sie diesen einen Post nicht gelesen haben. Gib nicht so schnell auf, schreib weiter!“  - „Ha, du hast gut reden. So einfach ist das nicht, wenn einem das Herz schwer ist.“ Heinrich schüttelte den Kopf: „Mensch Zottel, wenn du Kummer hast, musst du schreiben, dann kriegst du den Kopf wieder frei. Denk einfach, das Blog sei dein Tagebuch, dem du all deine Sorgen, Peinlichkeiten, Misserfolge – natürlich auch deine Freuden – anvertrauen kannst. Du schreibst in erster Linie für dich, weil es dir guttut. Punktum!“

So hatte ich das noch nie betrachtet, dass mein Blog auch so etwas wie ein Tagebuch sein könnte, auch wenn ich nicht täglich etwas schreiben würde. Das wäre mir dann doch zu viel Arbeit.  

Heinrichs Worte hatten mir so wohlgetan, dass ich auf ihn losstürmte und fest umarmte, wie man nur seinen Zwillingsbruder in die Arme schließen kann. Dann setzte ich mich an den PC und haute auf die Tasten ein, als gäbe es kein Morgen mehr. Mein Bruder zog sich hinter seine Bücher zurück und unsere Welt war wieder in Ordnung.

Und weil Leser es so lieben, muss das jetzt noch folgen: 


H A P P Y     E N D