Dies ist kein Selfie, sondern ein richtiges Foto |
Während ich in den letzten Wochen
sehr konzentriert an meinen Memoiren schrieb, drang immer wieder ein Klicken an
mein Ohr. Erst nach geraumer Zeit stellte ich fest, was es war. Mein Bruder
hatte sich Caras Handy geschnappt und machte Selfies. Da ich nun schon mal im Schreibfluss gestört war, fragte ich ihn, was er damit bezwecke, sich immer
und immer wieder zu fotografieren, denn dieses selbstverliebte Getue ging mir ziemlich auf den Geist. Die Antwort kam prompt. Das habe etwas mit Selbstvermarktung zu tun,
daran könne ich mich schon mal gewöhnen, wenn ich meine Memoiren verkaufen
wolle. „Und was willst du verkaufen, du schreibst doch
nicht?“, fragte ich ihn. „Das kommt noch, ich habe eine neue Ernährungslehre im
Kopf,“ erwiderte er. Mein Bruder hat
ganz was anderes im Kopf, dachte ich bei mir, sagte aber: „Ernährungslehren
haben wir genug. Seit Jahren höre ich nichts anderes. Erst lebte man
vegetarisch, aß aber dennoch Fisch. Als ob Fische keine Tiere wären! Doch damit
nicht genug. Derzeit muss man vegan leben, um glücklich zu sein, sagen die
einen. Die anderen beißen jedoch beherzt in einen Burger und lösen damit den
Hype auf die Curry-Wurst ab. Und die fleischige Zutat für den Burger heißt
nicht etwa Hackfleisch-Klops, sondern Patty. Englisch klingt ja auch viel cooler.“
Mein Bruder widersprach mir mit
dem lakonischen Satz, er wolle zurück zu den ganz einfachen Dingen. Dann
trällerte er wie so häufig in letzter Zeit: „Linda, Linda, my Linda, Linda, Linda I love you.“ Mein erster Gedanke war: Oha, er lässt sich ablenken von
seiner komischen Ernährungstheorie. Das kann nur bedeuten, es hat ihn erwischt,
er hat sich verliebt. Dabei fragte ich mich,
wer denn wohl diese Linda sei.
Doch ich hätte ahnen müssen, dass
ich auf der falschen Fährte war und Linda letztlich was mit Essen zu tun hat. Denn
nun belehrte mich Heinrich voller Begeisterung und mit strahlenden Augen: „Kartoffeln
in allen Variationen sind unser Glück. Dir ist das vielleicht nicht aufgefallen,
als wir neulich mit Cara in der Heide waren. Überall längs der Straßen die
Schilder mit dem Hinweis „Kartoffeln“. Da sieht man, die Landwirte haben es längst
begriffen, was die kleine Knolle alles an guten Stoffen enthält. Und auch der
Alte Fritz…“ Da hat es mir gereicht und ich fuhr ihm dazwischen: „Was heißt
hier alter Fritz Fritz ist mein Freund und nicht alt und wenn einer sagen darf
dass er alt ist dann bin ich das weil ICH sein Freund bin aber ich sage das
nicht und selbst wenn er in seinem Schrebergarten
ein Beet mit Kartoffeln anbaut so ist er eigentlich ein Angler er geht angeln
hörst du er geht ANGELN und bringt mir
immer diesen leckeren Lachs mit und du hältst jetzt mal schön die Klappe mit
deinen albernen Theorien du tickst ja nicht mehr richtig!“ Ohne Punkt und Komma
hatte ich das in meiner Rage heruntergespult. Mein Bruder blickte mich aus weit
aufgerissenen Augen an und war verstummt.
Heinrich ist verschreckt |
Als ich ihn so sah, wurde mir
bewusst, dass ich ihn gerade runtergeputzt hatte. Warum war ich nur so ausgerastet?
Er ist doch mein Bruder und ich liebe ihn. Und er macht doch nichts Schlimmes,
wenn er sich für Essen interessiert. Er lässt mich schließlich auch in Ruhe
schreiben.
Und nun schäme ich mich gleich doppelt, vor ihm und auch vor meinen zukünftigen Lesern, denn dieser Zwischenfall wird kein rühmliches Kapitel in meinen Memoiren werden.