Freitag, 19. Mai 2017

Zottel auf Bildungsreise



Reisen bildet, bilde ich mir ein
Ich habe wieder meinen Koffer gepackt. Wer jetzt denkt, ich sehne mich  nach Italien, der liegt falsch. Denn ohne die schöne Maria ist Italien nichts, jedenfalls nichts für mich.

Mich zieht es zu Studienzwecken nach Ostfriesland, wo das Land so flach ist, dass man am Morgen schon sieht, wer am Nachmittag zum Tee kommt. Inspiriert zu dieser Reise wurde ich durch zwei Dinge.

Erst einmal fand ich in Caras Regal einen Krimi. Nun, das ist nichts Außergewöhnliches, denn sie ist wie eine ihrer Facebook-Freundinnen eine Krimibegeisterte und hat auf den Brettern, die für sie die Welt bedeuten, zahlreiche  Bücher stehen, in denen erst gemordet und dann ermittelt wird. Es sind inzwischen so viele Bücher, dass sie manchmal verzweifelt  seufzt: „Wohin bloß damit? Ach, hätte ich doch ein Zimmer für eine Bibliothek.“

Dieser Krimi aber hat etwas Besonderes. Nein, die Ermittlungen von Büttner und Hasenkrug waren für mich von keinerlei Interesse, es war das Cover, das mir nicht aus dem Kopf ging. Diese Teetasse, woher kannte ich sie? Ich musste sie immer wieder anschauen. Plötzlich fiel es mir ein, warum ich von diesem Bild so fasziniert war. Cara hat ein Service mit exakt demselben Muster, nur das benutzt sie nicht so oft. 
Genau die Tasse wie auf dem Cover

Neulich aber holte sie das Geschirr hervor, weil sie unverhofft von Freundinnen Besuch bekam. Dann kann man aber nicht nur  Tee anbieten, selbst nicht in einer so schönen Tasse. Das wäre ziemlich knickerig. Was Süßes musste es dazu geben. Bevor Cara ins Grübeln kam, sagte mein Bruder Heinrich mit großer Autorität, die man eher mir zutrauen würde: „Mach eine Friesentorte! Die kriegst sogar du hin.“ Dann las er im Befehlston vor: „Blätterteig auftauen, in Tortenform schneiden und backen! Eine Teigplatte dick mit Pflaumenmus bestreichen, bisschen Zimt drüber streuen! Sahne schlagen, und nicht zu sparsam darauf verteilen! Wenn du hast, nimm eine Spritztüte, damit es netter aussieht! Den nächsten Boden Blätterteig draufsetzen, aber vorsichtig! Jetzt noch mit Puderzucker bestreuen! Fertig!“ So viel und so zackig hatte ich meinen Bruder noch nie am Stück reden hören. Hat mich gewundert, dass Cara ihm die Kommandos wie auf einem Kasernenhof hat durchgehen lassen. Geschmeckt hat die Torte aber sehr gut. Und nun mache ich mich auf ins Ostfriesenland und werde das Original probieren. Das ist meine erste Mission. Ich habe nämlich den Verdacht, dass mein Bruder sich geirrt hat und die Ostfriesentorte mit Rumrosinen gemacht wird, aber ich wollte ihm schließlich nicht reinquatschen. 

Darüber hinaus werde ich dort auch meine Artgenossen besuchen. Dazu muss ich in die Stadt Esens. Falls jemand noch nie was davon gehört hat, dann in die Suchmaschinen eingeben: „Bär rettet ostfriesische Stadt“.  Da springt einen gleich die Zeile an: In  Esens ist der Bär los. Ja, wir Bären haben die Nase ganz weit vorn, wenn es um Rettungsaktionen geht, und das auch zusammen mit der Polizei, der Feuerwehr und den Sanitätern. Da fahren wir Teddys nämlich mit und trösten die Kinder, wenn es gebrannt hat, wenn sie einen Unfall hatten oder sonst etwas Schreckliches passiert ist. 

Das ist meine zweite Mission, mir die Arbeit dieser Teddys am Ursprungsort anzusehen. Inzwischen sind sie sogar über Ostfriesland hinaus tätig. Ach ja, im Wappen von Esens prangt natürlich der Bär in voller Größe, so wie er auch an vielen Stellen der Stadt zu finden ist (Also immer schön auf die Links klicken, brav nach unten scrollen, dann werdet ihr schon sehen!).

Wie alle bereits bemerkt haben, geht es mir diesmal nicht um einen Erholungsurlaub, sondern ich bin in Sachen investigativer Journalismus unterwegs. Da aber auch ein schreibender Bär mal essen muss, lass ich mir die Original-Ostfriesentorte so richtig schmecken und finde es gar nicht schlimm, wenn ich hinterher ein bisschen dun bin von all den Rumrosinen.   

Montag, 8. Mai 2017

Zottel fühlt sich sehr, sehr alt


Zottel erinnert sich
Mon Dieu, dachte ich heute Morgen, was bin ich alt geworden! Normalerweise hätte ich „Mein Gott“ gedacht, aber diese sprachliche Verwirrung lag wohl am gestrigen Abend oder auch am heutigen Tag, an dem ich mit einem Déjà-vu erwachte. Jedenfalls erschien es mir in meiner Erinnerung  so, als hätte ich erstkürzlich darüber geschrieben, wie der französische Präsident Hollande unsere Kanzlerin besuchte, nämlich damals, als er sein Amt antrat. Nun kommt er wieder her, um Abschied zu nehmen, denn seine Amtszeit läuft aus. 

Für seinen Besuch hat er ausgerechnet den 8. Mai gewählt, den Tag, als Deutschland 1945 die Waffen gestreckt hat. Das weiß ich aus Caras Erzählungen. Nicht, dass jetzt jemand denkt, ich hätte da schon gelebt. So alt bin ich dann doch nicht und Cara auch nicht. Sie weiß es von ihren Eltern und Großeltern und aus Geschichtsbüchern. Unvorstellbar, dass Frankreich und Deutschland mal Krieg gegeneinander geführt haben! Und sie haben es mehrmals getan. Wie kann man nur so dumm sein? Da sterben Menschen, die doch viel gemütlicher an einem Tisch sitzen und was Leckeres essen und einen köstlichen Wein dazu trinken könnten. Meinetwegen sollen sie dann darüber streiten, welcher Wein besser zum welchem Essen passt, ein deutscher Riesling oder ein französischer Sauvignon blanc. Na ja, Menschen ist nicht zu helfen, wenn sie es denn vorziehen, sich gegenseitig umzubringen. Muss man sich doch an die Stirn tippen!

Doch zurück zum heutigen Besuch von Monsieur Hollande. Dem ging logischerweise die Wahl des neuen Präsidenten voraus, und die fand gestern statt. Frankreich hat gewählt und hier gab es eine Wahlparty. Cara hat für ihre Gäste bereits am Nachmittag ein große Menge Quiche lorraine zubereitet. Mein Bruder war Feuer und Flamme, schaute ihr über die Schulter und fragte, warum sie sich denn ausgerechnet an diesem Tag  so viel Arbeit mache und nicht einfach wie sonst eine Pizza aufbacke. Die Antwort kam prompt: „Als Referenz und in Erinnerung an meine Großeltern.“ Heinrich und ich sahen uns an und hakten nach: „Was haben denn deine Großeltern mit Lothringen zu tun?“ – „Da stammen sie her“, hieß es knapp. 

Huch, das kam jetzt überraschend! Sie hat nie darüber gesprochen. Nun wollte ich es genau wissen: „Waren sie denn nun Deutsche oder Franzosen?“ Cara zuckte mit den Schultern und meinte: „Gelebt haben sie in Deutschland, aber wenn sie von Saint-Avold, Pont-à-Mousson oder auch Metz sprachen, dann sagten sie in unserer Heimat. Im Grunde waren sie wohl Europäer, bevor es die Europäische Union gab.“   

Als dann die Gäste kamen, die keinen Krebs in der Tasche hatten und dem Anlass gemäß einige Flaschen Pinot Gris und Crémant d’Alsace  mitbrachten, gab es die besagte Quiche aus Lothringen. Danach schauten alle gebannt auf die Wahlergebnisse in Frankreich und atmeten Punkt 20 Uhr erleichtert auf. Selbst Anne Will konnte gestern nicht ihre Dackelfalten machen. Irgendwann  holte Cara einen großen Teller mit Macarons aus der Küche und reichte ihn herum. 
Himbeer für Zottel, Pistazie für Heinrich
 
Sie selbst stopfte sich auch genüsslich eins dieser teuren kleinen Dinger in den Mund und seufzte: “Oh Mann, oh Mann, ist der gut!“ Unter uns, diesen Spruch hat sie aus der Werbung, und zwar von Barbara Schöneberger. Nur die sagt immer: „Ho Mann, ho Mann.“ Ich glaube, ich muss der Barbara mal schreiben, dass die Franzosen das  H nicht aussprechen. Ist ihr hoffentlich nicht peinlich, dass ich das besser weiß als sie. 

Es war gestern ein langer Abend und ich gestehe, ich habe nicht alles behalten, worüber Caras Freunde so heftig diskutierten, weil ich müde und satt war. Heute bin ich aber wieder gut ausgeschlafen und werde das Treffen von Monsieur Hollande und Frau Merkel genau verfolgen. 

Und ein bisschen tröstet es mich in  meinem Gefühl, gealtert zu sein, dass Caras Großeltern zwar alt, aber irgendwie modern waren. Sie waren Europäer, bevor das überhaupt ein Thema war. Cool, oder?