Donnerstag, 29. Oktober 2015

Den Letzten beißen die Hunde


Den Letzten beißen die Hunde. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Der frühe Vogel fängt den Wurm.

Wer kennt sie nicht die aufrüttelnden Sprüche?! Ich jedenfalls beherzige sie, manchmal. Meine Leser werden sich erinnern, dass ich bereits Ende September unterwegs war und Eicheln gesammelt habe.  

Nun ist auch Cara auf diese Idee gekommen. Bei manchen dauert es eben etwas länger. Also hat sie sich gemächlich auf die Suche gemacht. Ihr geht es aber um die Kastanien, nur um Kastanien. „Wieso brauchst du mit einem Mal so dringend Kastanien?“, fragte ich sie. Voller Inbrunst erzählte sie mir, dass man stets eine bei sich tragen solle, den ganzen Winter über, für die gute Laune und die Gesundheit. Man muss gut sein zu der Kastanie, darf sie nie unbehütet lassen. Wenn man also eine andere Jacke anzieht, muss sie immer mitwandern in die neue Jackentasche. Hm, dachte ich bei mir. Die Kastanie wird ja wohl nicht weglaufen. Doch andererseits ist es ja auch ganz schön, sich mal um etwas so hingebungsvoll zu kümmern. Es erinnerte mich ein ganz kleines bisschen an die Tamagotchis, doch das sagte ich lieber nicht, denn ich merkte, Cara war es sehr, sehr ernst. Also ließ ich sie weiter erzählen. Voller Begeisterung sagte sie, dass viele Menschen das so machen, ja dass es eine wahre Kastanienbewegung gebe. Man hütet die Kastanie nun wie seinen Augapfel, trägt sie immer bei sich, zumindest bis zu der Zeit, wenn die Tage wieder länger werden und der Frühling Einzug hält. Dann darf die kleine gehegte Kastanie wieder in die Freiheit.

Irgendwie hat mich die Geschichte berührt. Sie hat so was Märchenhaftes. Darum konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass es Cara war, die sie sich ausgedacht hat. Und ich lag mal wieder richtig. Sie hatte das bei Theobromina gelesen, einer Frau, die wie Cara aus Hannover stammt, bloggt und Schokolade liebt, und nicht nur Blockschokolade. Jetzt ging mir ein Licht auf. Daher rührte die Verbundenheit und Begeisterung.

Nun wird es aber ein bisschen traurig, denn Caras Suche nach Kastanien blieb ohne Erfolg. Sie war eben zu spät losgegangen. Da wurde sie ganz trübselig. Ich wollte aber nicht riskieren, dass sie in eine tiefe Depression fällt und vielleicht keinen Appetit mehr auf Schokolade hat. Also habe ich ihr angeboten, sich doch bei den Früchten meiner Arbeit zu bedienen. 

Sie schaute auf den Tisch und machte ein verdutztes Gesicht. „Das sind ja gar keine Kastanien.“ Mist, sie hatte es gemerkt, dass es Baumhaseln sind, die sich in der stacheligen Schale befinden. 

Ich kann es dann auch nicht ändern. Nun muss sie weiter nach einer Kastanie suchen. Parzival hatte ja auch so seine liebe Mühe, den Heiligen Gral zu finden, was wieder mal beweist, dass einem im Leben nichts geschenkt wird, auch keine Kastanien.

Dienstag, 20. Oktober 2015

Die Flucht aus dem eigenen Zuhause


Mein Bruder hält es hier nicht mehr aus. Ihm ist langweilig und er will nach Süddeutschland. Er braucht einen Tapetenwechsel und will Jens  in Freiburg besuchen. Ich kann das nicht verstehen, denn Jens wird ihn nicht gastfreundlich aufnehmen. Das hat er vor einem Jahr nicht getan und wird es auch heute nicht tun, denn manche Menschen lernen nichts dazu. 

Da ich es mit meinem Bruder gut meine, habe ich alle meine Argumente ins Feld geführt, um ihn von dieser bekloppten Idee abzubringen. „Sei doch froh, dass du im Warmen sitzt und zu essen hast. Andere Tiere werden von Menschen gejagt oder ihnen wird der Lebensraum genommen. Und Menschen machen es  untereinander nicht anders. Die suchen dann keine neuen Eindrücke, sondern ein neues, sicheres Zuhause. Du hast ein Luxusproblem mit deinem: Ich muss hier mal raus!“ 

Heinrich sah mich mit großen Augen an. Doch ich war noch nicht fertig mit ihm und seinen blöden Einfällen: „Dir ist es immer viel zu gut gegangen. Dich haben sie sofort in ein kuscheliges Zuhause zu einem  - zumindest damals noch  - lieben kleinen Jungen gebracht. Für mich dagegen gab es eine Weile nur das Leben auf der Straße in einem Sonderangebotskorb für ausgemusterte Jahresbären, und das mitten im Winter. Aus diesem Grund bin ich auch dankbar, dass ich hier leben kann, dass Cara mich mitgenommen hat. Ich ziehe aus Dankbarkeit auch dieses alberne Jäckchen an, das sie mir gestrickt hat. Sie hat es lieb gemeint und kann nun mal nicht besser stricken. Doch Dankbarkeit ist ja auch etwas, das viele gar nicht mehr kennen. Und falls du dich wunderst, warum ich dicker bin als du, ich esse immer einen Happen auf Vorrat. Denn man kann nie wissen, was morgen ist.“ 

Jetzt erwachte Heinrich aus seiner Schockstarre und legte los: „Moment mal, Bruderherz, schließlich hat mich Jens auch ausgesetzt, hat mich auf ein Mäuerchen gelegt und ist gegangen, einfach so. Meinst du, ich hätte mich nicht verlassen gefühlt?“ Ich fuhr dazwischen: „Wohl nicht verlassen genug und vor allem nicht lange genug. Und du hast schon gar nicht bei bitterer Kälte im Freien gelebt, sondern im Sommer, falls du dich erinnerst. Denn kaum hocktest du auf der Mauer, kam Uwe vorbei, hat dich mitgenommen und gepflegt.“  

Das Freiburger Bärle hatte unseren Streit mitbekommen und wollte schlichten. „Ja, ich würd halt auch gern wieder in meine Heimat. Nur zum Jens will ich nicht, der war nicht gut zu mir. Ich würde nur allzu gern wieder mal Schäufele essen oder Spätzle oder Knöpfle und Flädle-Suppe. Besonders fehlen mir aber die Herrgottsbescheißerle.“ Da leuchteten Heinrichs Augen. „Ja, Essen ist Heimat. Doch das kannst du ganz leicht auch hier bekommen.“ 

Klar, wenn irgendetwas klappt in diesem Land, dann ist es das herzliche Willkommen fremder Küchen und Gerichte. Meine Argumente haben zwar nichts bewirkt, aber Heinrich ist geblieben, weil er neugierig war auf Schäufele und Spätzle. Und ich bin neugierig, was wohl Herrgottsbescheißerle sind. Kann man das wirklich essen?     

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Sich auf den Winter vorbereiten


Wie bereitet man sich am besten auf den Winter vor? Ich habe in der letzten Woche schon mal einen Test gestartet, mich ganz ruhig verhalten, mich auf mein Kissen gesetzt und so getan, als ob ich Winterschlaf halte. Mein Bruder fand das absurd, schließlich würden wir nicht in den Wäldern Sibiriens oder Kanadas leben, sondern in einer Wohnung, wo nicht nur bei Bedarf die Heizung angestellt werden kann, sondern auch immer reichlich Essen vorhanden ist. Im Grunde hat er Recht, doch das habe ich ihm nicht so gesagt. Ich wollte einfach ein bisschen dösen und die Betriebsamkeit um mich herum beobachten. Wobei die richtig hektische Betriebsamkeit ja erst im nächsten Monat einsetzt, wenn es auf Weihnachten zugeht. Da sind die Menschen nicht mehr zu bremsen. Manchmal denke ich, sie haben den Sinn von Weihnachten völlig aus den Augen verloren. Sie wollen shoppen und die Weihnachtsmärkte besuchen, um sich mit Fettgebackenem, Würstchen  und Glühwein vollzustopfen. Am nächsten Morgen kommt dann das böse Erwachen, die einen haben Sodbrennen, die anderen zu viele Kilos auf der Waage und wer ganz großes Pech hat, der stellt fest, dass sein Portemonnaie verschwunden ist. Auf jeden Fall ist dann die Stimmung im Eimer, bis es wieder heißt: Und heute Abend treffen wir uns auf einem anderen Weihnachtsmarkt und schauen genau hin, was wir essen und dass wir nicht beklaut werden.

Doch meine Gedanken eilen der Zeit voraus. Noch herrscht relative Ruhe. Cara hat die Wintergarderobe hervorgeholt, schweren Herzens die verblühten Sommerpflanzen aus den Balkonkästen gezupft und macht es sich abends wie ich auf einem Kissen gemütlich.

Nur gestern ist sie am Abend weggegangen, zu einer Tupper-Party. Ich fragte sie: „Und was ziehst du an?“ „Nichts, ich gehe hin, wie ich bin.“ Das darf nun niemand missverstehen. Sie meinte damit, sie behält ihre Jeans und den Pulli an, den sie auch tagsüber getragen hat. Ich war verwundert, denn normalerweise brezelt sie sich für eine Party auf. Doch diesmal hat sie nur ihren knallroten Lippenstift aufgetragen. Das ist bei ihr normal. Das hat sie sogar getan, nachdem sie neulich wenig Massel beim Zahnarzt hatte und er ihr eine Spritze verpassen musste. Zu dem Resultat ihrer Malkünste auf der betäubten Lippe möchte ich mich nicht äußern. 

Doch nun ging es ja zu einer Tupper-Party. Zurück kam sie mit einem Berg Plastikdosen und kriegte sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein. In diesen Dosen bleibe alles ganz frisch und lange haltbar. Klar, sie bereitet sich auch auf den Winter vor. Dennoch fand ich es etwas absurd, denn in den Supermärkten gibt es zu jeder Jahreszeit alles zu kaufen. Himbeeren im Winter – kein Problem. Und dann sagte sie strahlend: „Diese Dosen sind zwar etwas teurer, aber sie halten ein Leben lang. Die werden mich noch überleben.“ Ich verkniff es mir zu bemerken, dass sich die Erben aber sehr freuen würden über diese bunten Dosen. Beim Thema Sterben und Tod werde ich nicht sarkastisch, das ist eine ernste Sache. Dennoch fragte ich mich, was so toll daran sei, von einer Plastikdose überlebt zu werden. Da habe ich mich wieder auf mein Kissen gesetzt und in aller Ruhe nachgedacht. Eine Antwort habe ich nicht gefunden, wäre aber beinahe in den Winterschlaf gefallen.