Freitag, 24. Mai 2019

Was Zottel zu wissen glaubt


Nun ist es kein Geheimnis mehr
Eigentlich bin ich ja nicht geschwätzig, aber ich will meine Leser auch nicht im Ungewissen lassen und rücke mal mit der Sprache raus. Cara hat einen neuen Freund und er heißt Jacques. Was schließen wir daraus? Er ist Franzose. Ganz sicher kann man sich da zwar nicht sein, denn Jean-Luc, der Märchenerzähler, der glücklicherweise längst Geschichte ist, war Deutscher. Auf jeden Fall trifft sie sich öfters mit Jacques. Leider kommt er nie zu ihr nach Haus. Mein Bruder und ich hätten ihn zu gern mal gesehen, auch wenn wir sonst nicht neugierig sind. So jedoch wissen wir nur, dass er im letzten Jahr seinen 44. Geburtstag gefeiert hat.

Sie treffen sich immer bei ihm, manchmal auch tagsüber, aber dann nur ganz kurz. Er muss sicherlich wie alle arbeiten. Cara kommt jedes Mal gut gelaunt und mit einer Flasche Wein nach Hause, manchmal sind es auch zwei. Das sind dann die Geschenke von Jacques, wie ich vermute. Er gehört wohl zu den Männern, die zu doof sind, Blumen zu kaufen, denn meines Wissens lieben es Frauen, wenn sie Blumen geschenkt bekommen. Bei Cara hat er aber Glück, denn sie trinkt gern Wein und so konnte er bei ihr landen. Da hat der gute Mann das richtige Gespür gehabt.

Seit dieser Zeit faselt sie noch mehr von Wein als in der Vergangenheit, wobei ich nach wie vor finde, er wird bei weitem überschätzt. Die dollste Geschichte hat sie zum Besten gegeben, nachdem sie mal wieder einen Abend bei Jacques war und es natürlich – was auch sonst – Wein gegeben hatte. Als sie am nächsten Morgen am Schreibtisch saß, hielt sie mit einem Mal im Schreiben inne und sagte verzückt: „Das gibt’s doch gar nicht! Ich habe diesen wundervoll frischen Sauvignon Blanc von gestern Abend in der Nase, als stünde das Glas vor mir.“ Da war mir klar, dass sie nun völlig durchgedreht war. Kein Mensch riecht aus heiterem Himmel einfach so Wein. Ich zerstöre ja ungern Illusionen und damit auch die gute Laune, wies aber darauf hin, dass sie mal an ihrem Schal schnuppern sollte. Denn den hatte sie gestern Abend getragen und wahrscheinlich mit dem Wein bekleckert. Sie sah mich mit großen Augen an, und schnüffelte wie der Hund unserer Nachbarin jede Stelle des Stoffes ab. „Nichts, Zottel, nichts habe ich verschüttet. Es ist mein Gehirn, das sich diesen betörenden Duft gemerkt hat.“ Sie lächelte versonnen und ich begann, mir Gedanken um ihr Gehirn zu machen.

Dann kam Gustav um die Ecke. Er hatte wohl einen Teil unseres Gesprächs mitbekommen. Wie üblich nahm er die Pose eines Manns von Welt ein, baute sich im Türrahmen auf und gab seinen Senf dazu: „Also, wenn ich einen Raum betrete und Zigarrenrauch wahrnehme, kann ich dir auch sagen, welche Marke am Vorabend geraucht wurde. Es ist eine Frage der Übung und des Interesses an den Dingen.“
Gustav - Mann von Welt

Na, da hatte er ja was gesagt. Während mein Puls Fahrt aufnahm, lächelte Cara und pflichtete ihm bei: „Ich ahnte es schon immer, ich sollte mich mehr um Wein kümmern, so rein theoretisch, aber auch gustatorisch.“ Nun legte mein Bruder Heinrich seine Kochbücher beiseite und meinte: „Oh, Cara, das wäre wunderbar, dann kannst du mir immer Empfehlungen geben, welcher Wein am besten zu welchem Gericht passt.“
Heinrichs Kochbücher der indischen Küche
Jetzt hatte ich von dem Getue aber genug und konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen. „Ihr lebt hinter dem Mond, alle, alle! Rauchen ist ungesund. Ich dachte, das sei inzwischen in den Köpfen angekommen. Das zu dir, lieber Gustav! Und Wein, insbesondere schwerer Rotwein, ist was für Männer im gesetzten Alter, die Tweed Jackets tragen, Prosecco was für kichernde Girlies, die sich keinen Champagner leisten können und ihn auch nicht zu schätzen wüssten. Geht mal in eine Bar, heute trinkt man Craft Beer oder Gin in vielen Variationen, nach Rum und vor allem Whisky wird gefragt, auch nach Sake, Tequila und Mezcal. Für die Harten kommt die grüne Fee in Form von Absinth um die Ecke und für die Softies gibt‘s Cidre. Das sind die angesagten Getränke."

Einen Moment herrschte Schweigen. Wäre eine Büroklammer auf den Boden gefallen, es hätte laut gescheppert. Cara rührte sich als erste und hackte wild auf die Tastatur ein. Gustav rückte seine Krawatte gerade und marschierte Richtung Balkon, auf dem er sich eine Zigarre anzündete und einen tiefen Zug nahm. Mein Bruder Heinrich schlich als letzter davon, schaute mich kopfschüttelnd an und blieb den Rest des Tages stumm hinter seinen Kochbüchern sitzen.  

Komisch, ich hatte doch nur gesagt, was auch der Wahrheit entsprach, oder?

Sonntag, 19. Mai 2019

Zottels große Enttäuschung


Zwillingsbrüder
Heinrich legte seine Kochbücher beiseite und schaute mich lange an. „Ist was?“, fragte ich. „Genau das wollte ich dich auch fragen“, antwortete er mir. „Du lässt seit Tagen den Kopf hängen, als suchtest du auf dem Boden nach Gold. Oder sind deine Nackenwirbel so marode und können deinen schweren Kopf nicht mehr tragen?“ 

Ich hob mühsam meinen Kopf und seufzte. Heinrich ließ nicht locker: „Na, los, raus mit der Sprache! Was ist mit dir?“ 

Da sieht man mal wieder, dass wir Zwillingsbrüder sind. Niemand anderes hier hatte bemerkt, wie schlecht es mir ging. Ich zögerte noch einen Moment und sagte dann frei heraus: „Sie mögen mich doch nicht mehr.“ – „Wer sind sie?“, hakte Heinrich nach. „Na, meine Leser. Mein Comeback und ihre euphorische Reaktion darauf hatten mich motiviert wieder zu schreiben. Doch meinen zweiten Post hat keiner geliked. Also kann ich es sein lassen. War alles nur heiße Luft.“

„Also, ich schreibe zwar nicht, aber ich weiß, mit diesen Misserfolgen muss man umgehen lernen. Es ist nicht leicht, das wegzustecken und dennoch weiterzumachen. Aber das musst du. Deine Leser haben vielleicht gerade keine Zeit zu lesen, haben Probleme, schwerere als du. Oder sie zermartern sich das Hirn, welcher Partei sie bei der Europa-Wahl ihre Stimme geben sollen. Das weißt du doch nicht. Das können alles Gründe sein, warum sie diesen einen Post nicht gelesen haben. Gib nicht so schnell auf, schreib weiter!“  - „Ha, du hast gut reden. So einfach ist das nicht, wenn einem das Herz schwer ist.“ Heinrich schüttelte den Kopf: „Mensch Zottel, wenn du Kummer hast, musst du schreiben, dann kriegst du den Kopf wieder frei. Denk einfach, das Blog sei dein Tagebuch, dem du all deine Sorgen, Peinlichkeiten, Misserfolge – natürlich auch deine Freuden – anvertrauen kannst. Du schreibst in erster Linie für dich, weil es dir guttut. Punktum!“

So hatte ich das noch nie betrachtet, dass mein Blog auch so etwas wie ein Tagebuch sein könnte, auch wenn ich nicht täglich etwas schreiben würde. Das wäre mir dann doch zu viel Arbeit.  

Heinrichs Worte hatten mir so wohlgetan, dass ich auf ihn losstürmte und fest umarmte, wie man nur seinen Zwillingsbruder in die Arme schließen kann. Dann setzte ich mich an den PC und haute auf die Tasten ein, als gäbe es kein Morgen mehr. Mein Bruder zog sich hinter seine Bücher zurück und unsere Welt war wieder in Ordnung.

Und weil Leser es so lieben, muss das jetzt noch folgen: 


H A P P Y     E N D

Montag, 13. Mai 2019

Zottels plötzliches Erwachen


Was für ein Lärm zu dieser Zeit!
Vor ein paar Tagen wachte ich durch lautes Getöse auf. Dann war es wieder ein oder zwei Minuten lang still. Danach setzte der Lärm erneut ein. Es war kurz nach 6.00 Uhr und ich dachte, Cara putzt, sie hätte ihren alten, lauten Staubsauger wieder in Betrieb genommen, weil der neue den Geist aufgegeben hat, und das kurz nach der Garantiezeit. Na, das gäbe ja ein schönes Theater. Wenn nämlich mit Elektrogeräten was nicht so funktioniert, wie es sollte, geht sie in die Luft wie dereinst das HB-Männchen. Und den armen Verkäufer im Elektrogroßmarkt würde sie so klein machen, dass er durch ein Nadelöhr passt.

Doch als der Lärm wieder losbrach, überlegte ich noch mal genau, ob das sein könnte. Cara würde doch nie morgens um 6.00 Uhr den Staubsauger anwerfen, weder den alten, noch den neuen, um den Wollmäusen den Kampf anzusagen. Das macht sie erst, wenn sie putzmunter ist, und vor 10.00 Uhr ist damit nicht zu rechnen.

Ich stand also auf, um zu sehen, was los ist. Mein Bruder kam auch ganz verschlafen aus seinen Kissen hervor und fragte: „Was soll dieser Lärm? Welche Knalltüte weckt uns um diese Zeit und auch noch auf diese Weise?“ Wir tappten in die Küche, um uns was zu trinken zu holen und ein paar Honigbonbons zu naschen. Honig beruhigt. An Schlaf war ohnehin nicht mehr zu denken, denn der Lärm ebbte zwar zeitweise ab, schwoll aber nach zwei Minuten wieder an.  
Heinrich schält sich aus den Kissen
Als wir in die Küche kamen, saß da schon Cara, verstrubbelte Haare und in einer Jogginghose sowie einem zerknitterten Shirt. Na, wenn das Karl Lagerfeld hätte sehen können! "Mann, habe ich mich erschreckt", stöhnte sie in ihren Becher mit heißem Tee. "Da wacht man auf und denkt, es ist Krieg. Ein Flugzeug nach dem anderen fliegt über unser Haus. Da glaubt man doch, wir werden aus der Luft angegriffen und es fallen gleich Bomben."

Ja, blöd, Cara hatte sich am Vorabend nicht informiert, sondern war mit Freunden unterwegs gewesen. So wusste sie nicht, dass wie jedes Jahr auf dem Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel (heißt heute: Hamburg Airport Helmut Schmidt) eine Start- und Landebahn ausfällt, weil sie instand gesetzt wird. Das hatte sie nun erst am Morgen gehört, als sie panisch das Radio angestellt hatte, um zu erfahren, was Deutschland droht. Auf jeden Fall sind wir alle sehr verstört in den Tag gestolpert, wenn wir auch froh waren, dass Krieg nicht die Ursache unseres abrupten Erwachens war.

Als sich Cara vom Schrecken erholt hatte, stemmte sie die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf: „Wie kann man solch eine Aktion am 8. Mai beginnen?“ Mein Bruder und ich fanden nichts Verwunderliches an dem Datum. Der 8. Mai war für uns ein Tag wie jeder andere, in diesem Fall ein Mittwoch. Doch Cara blieb beharrlich und meinte: „So was fängt man nicht an dem Tag an, an dem der 2. Weltkrieg beendet wurde, als die Waffen schwiegen. Meine Eltern und Großeltern haben mir davon erzählt, wie froh sie waren, als alles vorbei war, vor allem die ständige Angst vor Angriffen aus der Luft.“

Jetzt ging mir natürlich ein Licht auf. Und ich musste an all die Länder denken, in denen die Menschen so was wie heute Morgen jeden Tag erleben, nur dass es eine wirkliche Gefahr darstellt und nicht nur Lärm. Warum tun Menschen so was? Wieviel Hass muss man in sich haben, um andere töten zu wollen? Wieviel Gier muss einen antreiben, um fremdes Land besitzen zu wollen? Einer von Caras Freunden, den ich heimlich den Miesepeter nenne, sagt immer: Es gibt nichts Blöderes als Menschen! In diesem Fall gebe ich ihm mal recht.