Montag, 20. April 2015

Alles Käse - unter falschem Verdacht


So geht es ab in die Tasche
Cara war am Freitag im Varieté. Doch dort gab es keine artistische Show, sondern ein Gespräch über das Essen, denn es war Kochtag in ganz Deutschland. Sobald mein Bruder hörte, dass der Spitzenkoch Christian Rach da sei, hat er die Ohren aufgestellt. Als er erfuhr, dass er zu Hause bleiben müsse, hat er sie hängen lassen. Diesen traurigen Gesichtsausdruck habe ich nicht ertragen und ihm erklärt, wie man sich schlau in Caras Handtasche, die eher Kofferformat hat, verstecken kann. Ich hatte das schließlich schon mehrfach praktiziert, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg

Nach der Busfahrt hat Heinrich das erste Mal vorsichtig aus der Tasche geschaut. Er traute seinen Augen nicht, nur türkische Läden, die leckeres Obst und Gemüse anboten. Da bekam er Hunger, aber auch Zweifel, dass sie auf dem richtigen Weg zu einem typisch hanseatischen Varieté waren. Ich verstehe zwar, dass mein Bruder Caras Orientierungssinn nicht traut, aber die Hansestadt ist eine weltoffene Stadt und hat somit ein urdeutsches Theater inmitten ausländischer Läden.  

Bis das Licht gedimmt wurde, blieb Heinrich in Deckung. Danach hörte er aufmerksam dem Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Chefredakteur und Chefkoch zu. Doch erst zum Schluss schlug seine Sternstunde. Es gab was zu essen. Ganz besonderer Käse und Chutneys wurden serviert, immer ein Teller für zwei Personen. Cara und ihre Freundin Cathy teilten sich das erste Stück Käse, kauten genüsslich, strahlten sich freudig an und diskutierten, was wohl alles in dem Chutney sei und dass sie es unbedingt kaufen müssten. Dieses Gespräch machte sich mein Bruder zunutze und stibitzte das größte Stück Käse vom Teller. Um sich noch ein Stück Brot zu mopsen, fehlte die Zeit, denn die beiden Frauen waren auch auf den Geschmack gekommen und wandten sich wieder dem Teller zu.  Sie teilten sich das nächste Stück, peinlich genau dieses Mal, und sahen sich kauend und stumm in die Augen. Die Gelegenheit für Heinrich, sich nochmals unbemerkt zu bedienen. Jetzt lag nur noch eine kleine Kugel Gorgonzola auf dem Teller. Cathy fragte Cara: „Willst du noch?“ Die Antwort fiel spitz aus. „Nee, danke, ich bin satt.“ Cathy entgegnete: „Mir reicht’s auch.“ Dann nahmen beide einen großen Schluck Rotwein und guckten mürrisch vor sich hin. Nun war aber auch die Veranstaltung zu Ende und der Zeitpunkt gekommen, Applaus zu spenden. Die Chance für meinen Bruder, nach der Gorgonzola-Kugel zu grapschen und in Caras Tasche, in die er wieder abtauchte, verschwinden zu lassen. Die beiden Freundinnen trennten sich ohne das übliche Küsschen rechts, Küsschen links auf die Wange, nur mit einem kurzen Tschüss.  

Als Cara am nächsten Morgen nach ihrem Portemonnaie suchte, griff sie in die Reste der Gorgonzola-Kugel und rief voller Entsetzen: „Igitt!!! So eine Schweinerei! Zottel, komm sofort mal her!“

Dienstag, 14. April 2015

Schreibblockaden und Abschiede


Ich komme mit meinen Memoiren nicht gut voran und das betrübt mich. Cara versteht es nicht und rät, ich solle mich nicht unter Druck setzen, sondern lieber mal in die Natur gehen und mir die Frühlingsblumen ansehen. Sie hat gut reden!

Gestern ist Günter Grass gestorben und er hatte befürchtet, das Werk, an dem er gerade arbeitet, unvollendet zurückzulassen. Doch es sollte für ihn anders kommen. Ich weiß nicht, ob man jetzt schreiben darf, er hat Glück gehabt, aber ich denke schon, er wäre damit zufrieden gewesen, dass er das Buch, an dem er schrieb, abschließen konnte. Dies ist nämlich nicht jedem möglich. Ein junger Journalist, den Cara kannte und sehr schätzte, konnte seine Pläne nicht alle verwirklichen. Als hätte er es gewusst, hat er oft von wertvollen Momenten oder wertvollen Begegnungen gesprochen.   

Cara sagt auch häufig: "Carpe diem, wer weiß, was morgen ist!" Aber sie tut dann eher oberflächliche Sachen, wie ich finde. Heute zum Beispiel will sie mit ihrer Freundin Gina ein Lokal erkunden, das vor kurzem eröffnet hat. Nun darf man nicht denken, dass sie danach darüber schreibt, sie widmet sich dort lediglich dem Essen und Trinken. Als mein Bruder davon erfuhr, war er allerdings  sehr erstaunt. „Gina geht mit ihr essen? Das kann ich nicht glauben!“ Dazu muss man wissen, dass mein Bruder vor zwei Jahren mit Gina in Frankreich war und sich sehr über ihr Essverhalten gewundert hat. Dort hat Heinrich übrigens auch seine Liebe zur französischen Küche und zum Essen ganz allgemein entdeckt. Und seitdem gibt er sich gern als Gourmet. 

Kaum hatte er gehört, dass Günter Grass gestorben war, sagte er ganz traurig: „Oh, nun kann er das leckere Lübecker Marzipan nicht mehr genießen.“ Ich weiß nicht, ob Günter Grass ein Liebhaber dieser süßen Köstlichkeit war, und wenn ja, hat er vielleicht Marzipan aus Danzig vorgezogen. Wichtiger als das Zuckerwerk aus Mandeln waren ihm aber Nüsse, und das aus gutem Grund, wie eines seiner Gedichte zeigt: 

Wegzehrung

Mit einem Sack Nüsse will ich begraben sein und mit neuesten Zähnen. Wenn es dann kracht, wo ich liege, kann vermutet werden: Er ist das, immer noch er. 

(Günter Grass)


Samstag, 4. April 2015

Der Wettbewerb und das dicke Ei


Cara wollte gern an einem Wettbewerb teilnehmen. Sie sollte schätzen, wie viele Körner in einer 300g-Packung Reis enthalten sind. Da sie auf Nummer sicher gehen wollte, hat sie Heinrich und mich gebeten, Korn für Korn zu zählen. Es gäbe dann auch ein dickes Osterei für jeden von uns. 

Als ich mir vorstellte, dass wir jedes Korn in die Tatze nehmen müssten, fragte ich sie: „Aber du wirst uns danach doch diesen Reis nicht etwa als Essen vorsetzen?“ „Nein, Zottel, keine Angst, den Reis streue ich zu Biggies Hochzeit. Das bringt Glück.“ Völlig überrascht meinte ich: „Biggie heiratet!? Wen denn, um Himmels willen?“ Sie lachte und antwortete: „Ihren Teddy natürlich. Wen denn sonst?“ Cara hatte also einen Scherz gemacht. Da war ich beruhigt. Ihre Freundin Biggie liebt nämlich nur eines: Schuhe und Shoppen ganz allgemein. Ich erinnere mich noch genau, wie sie vor drei Jahren ein Paar schwarze Schuhe mit einer knallroten Sohle gekauft hatte, das wohl extrem teuer war. Cara hat zwar rote Schuhe, aber die haben eine schwarze Sohle.
Caras rote Schuhe

Jedenfalls hat Biggie danach ständig gejammert, dass ihr Dispo bis zum Anschlag ausgeschöpft sei und sie sich rein gar nichts mehr leisten könne. Eine Katastrophe bei all den wunderschönen Sonderangeboten! Eines muss man Cara lassen, sie überzieht nie ihr Konto, da passt sie ganz genau auf. Sie gönnt den Banken nicht diese Wucherzinsen, wie sie es nennt. Da ist sie eine echte Erbsenzählerin. Nur den Reis wollte sie nicht selbst zählen, wie es schien.

Doch mit der Aussicht auf ein leckeres Schokoladenosterei im XXL-Format machten Heinrich und ich uns ans Werk und zählten nun Korn für Korn. 
Knapp die Hälfte ist gezählt (was man so zählen nennt)

Nach einer Weile meinte mein Bruder: „Du, Zottel, ich habe die Nase voll von dieser Idiotenarbeit. Wir sagen Cara nachher eine beliebige Zahl und tun nur noch so als ob.“ Mein Bruder sprach mir aus der Seele. Ab und zu guckte Cara um die Ecke und wir gaben uns sehr konzentriert. Nach drei Stunden präsentierten wir ihr das Ergebnis: 121.743 Körner. Da runzelte sie die Stirn und blickte uns tief in die Augen: „Seid ihr sicher? Bei einer solchen Menge kann man sich leicht verzählen. Ich denke, ihr solltet das überprüfen und noch mal nachzählen.“ Mein Bruder – Inbegriff des schlechten Gewissens, als sei er ertappt worden – zog seinen Kopf ein und antwortete: „Cara, wenn ich es genau bedenke, hast du recht. Es wäre ja schade, wenn du dich blamierst.“ Ich dachte, ich höre nicht richtig. Mein Bruder, dieser Schleimer und rückgratlose Jasager, ließ sich darauf ein, dass wir nochmals drei Stunden vor diesem blöden Reis saßen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und die Wut kroch wie ein Feuer in mir hoch. Ehe ich mich versah, griff ich in den Reis und warf ihn über Cara und Heinrich: „Ein Teddy heiratet jedenfalls schon heute! Ihr seid ein wundervolles Paar, ein Jasager und eine Erbsenzählerin. Das passt. Glückwunsch!“ 

Danach war es einen Moment lang mucksmäuschenstill. Man hätte ein Reiskorn fallen hören können, wäre noch eins gefallen. Welcher Wortschwall sich danach aus Caras Mund ergoss, möchte ich hier nicht wiederholen, und ich werde diesen Eklat auch in meinen Memoiren nicht erwähnen. Man muss nicht immer die ganze Wahrheit schreiben. Nur dass uns das dicke Osterei entgangen ist, werde ich nicht verschweigen. 
Gab nur kleine Eier