Montag, 2. September 2013

Heinrichs Reisebericht – Teil 2: Kunst


Heinrich hat Hunger, denn er hat von Croissants geträumt
Mein Bruder kann gar nicht aufhören zu erzählen. Die Berichte über das tolle französische Essen gehen mir aber ganz schön auf den Geist. So habe ich zu ihm gesagt: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Seine Antwort: „Eben, darum haben sich die Franzosen ja auch diese leckeren Sachen ausgedacht, sodass das Brot nur eine kleine, aber knusprig-feine Beilage ist.“ Da habe ich es aufgegeben, mit ihm zu diskutieren und weiter zugehört. 

Also, als er mit Gina Roussillon wieder verließ, wo er sich – wie ich ihm prophezeit hatte – knallrote Tatzen geholt hat, haben sie nach einem schönen Hotel gesucht und dort Rast gemacht. Gina ist im Pool schwimmen gegangen und Heinrich hat schon mal die Speisenkarte studiert. Was auch sonst! Um meine Leser nicht zu langweilen, lass ich jetzt mal weg, was die beiden an diesem Abend gegessen haben. Gina wollte gerade die Rechnung verlangen, da wurde es am Nachbartisch laut. Ein kleiner rothaariger Junge machte seinen Eltern eine Riesenszene. Heinrich konnte nicht alles verstehen, denn der Junge sprach englisch. Nur manchmal hörte er, wie seine Mutter ihn ermahnte: Mortimer, it's incredible!“, What's your problem with Lou? oder Don‘t be so naughty!“ So viel hat Heinrich aber mitbekommen, dass der Junge seinen Teddybären immer wieder absichtlich unter den Tisch fallen ließ. Doch seine Mutter hat das natürlich gemerkt und es ihm nicht durchgehen lassen. Gina hat Heinrich dann noch haarklein erzählt, dass Mortimer nicht zusammen mit dem Teddy gesehen werden wollte, aus dem Alter sei er schließlich raus. Er sei doch kein Baby mehr. Was sollten denn die Leute denken! Aha, daher wehte der Wind. Für meinen Bruder stand fest, dass er mit Leute eigentlich das kleine Mädchen meinte, mit dem er den ganzen Nachmittag im Pool geplanscht und Ball gespielt hatte. Plötzlich steigerte sich Mortimers Trotz, sodass er den ehemals geliebten Bären wütend auf die Erde warf und aufs Zimmer rannte. Die Eltern – peinlich berührt – hinter ihm her. Da lag nun der Teddy – von niemandem aus der Familie beachtet auf den harten Kieselsteinen. Na, das hat Heinrich sofort an seine eigene Geschichte erinnert. Kann man ja verstehen. Gina wollte den Bären zur Rezeption bringen, doch da hat mein Bruder gesagt, das käme überhaupt nicht infrage. Er würde sich um Lou kümmern. Wenn die Eltern den Teddy achtlos liegen lassen, dann seien sie ebenso herzlos wie dieser verzogene Mortimer. So was habe er im Gespür. Unter uns, ich hätte genauso reagiert. Da zeigt sich mal wieder, dass wir Zwillingsbrüder sind. Gina hat schließlich nachgegeben, weil sie inzwischen Heinrichs Hartnäckigkeit kennt.

Am nächsten Tag sind sie alle zusammen nach Saint-Paul-de-Vence zur Stiftung Maeght gefahren. Jetzt ging es mal nicht ums Essen, sondern um Kunst. Heinrich und Lou waren schnell gelangweilt. Da hat Gina für sie einen Platz im Schatten gesucht und ihren Rundgang alleine fortgesetzt. Lou ist sofort eingeschlafen. Heinrich hat überhaupt festgestellt, dass Lou viel Schlaf braucht, wie ein Säugling. Darum nennt er ihn auch nein, nicht Schlafmütze –, so gehässig ist mein Bruder nicht. Baby Lou nennt er ihn. Doch man darf sich nicht täuschen lassen, wenn Lou wach wird, ist er sehr ausgeschlafen und strahlt vergnügt, als ginge ihm gerade eine ganz lustige Idee im Kopf herum.

Baby Lou
Als nun Gina zurückkam, wollten sie noch gemeinsam zu einigen Stätten und dann gäbe es endlich ein Eis. Kaum waren sie um die nächste Ecke gebogen, blickte Lou Heinrich verschwörerisch an und dann gab es für sie kein Halten mehr. Sie rannten, was die Beinchen schafften. Ein Gebilde, das aussah wie eine bunte, sich drehende Wippe, von welchem Künstler auch immer erstellt, war ihr Ziel. Heinrich sprang auf den roten Sitz, Lou auf den grauen und dann ging es rund. Plötzlich blieb ein Paar vor ihnen stehen und die Frau rief voller Begeisterung: „Herbert, sieh doch mal diese unglaubliche Installation mit den wippenden Teddybären! Ist das nicht großartig! Schau doch mal im Katalog nach, wer das gemacht hat.“ Heinrich und Baby Lou mussten sich stark beherrschen, um nicht laut loszulachen, und haben munter weiter gewippt. Inzwischen hatte auch Gina sie erreicht. Geistesgegenwärtig sagte sie zu dem Paar: „Ich glaube, das ist erst vor kurzem hier installiert worden. Vorne beim Ticketverkauf wissen die aber bestimmt, welcher Künstler diese geniale Idee hatte.“ Das Ehepaar schaute noch ein Weilchen dem bärigen Treiben zu und schlenderte dann zum Eingang des Ausstellungsgeländes. 

Was Gina dann zu Heinrich und Baby Lou gesagt hat, schreibe ich hier lieber nicht. Doch für die beiden stand fest, sie waren Teil eines Kunstwerks geworden. Das war nicht nur toll, sondern damit waren sie auch nicht mehr zu trennen. Das leuchtete selbst Gina ein, nachdem sie ihre Nerven mit einem Pastis beruhigt hatte. 

Heinrich und Lou - Teil eines Kunstwerkes