Sonntag, 18. August 2013

Heinrich will weg


Zwei Brüder - zwei Meinungen
Mein Bruder ist ziemlich verwöhnt. Er will weg. Nicht für immer, aber verreisen will er, an einen schönen Ferienort. Er kennt das nicht, dass man im Sommer in der Stadt bleibt. Als Jens, der Junge, bei dem er lebte, noch klein war, verreiste man oft und Heinrich durfte immer mit. Dann ging es mit der Familie nach Italien, Spanien, einmal sogar in die USA. Das war wohl das absolute Highlight für Heinrich, denn er war im Disneyland und hat Mickey Mouse gesehen. Wenn man mich fragt, hat er sich in Daisy Duck verliebt, aber das gibt er natürlich nicht zu. Nun will er da wieder hin. Cara hat dicke Backen gemacht, also eigentlich hat sie wieder Dackelfalten gemacht, wie sie es immer tut, wenn ihr was gegen den Strich geht. Sie hat nun mal nicht das Geld, um mit uns in Urlaub zu fahren. Für mich ist das nicht so schlimm, aber Heinrich ist da mehr Abwechslung gewohnt. Ja, so unterschiedlich können Zwillingsbrüder sein.

Mir gefällt's auf dem Balkon
Ich finde es supertoll auf dem Balkon. Schließlich habe ich ihn nicht umsonst so liebevoll bepflanzt. Heinrich schnuppert ab und zu an den Lavendeltöpfen und sagt: „Na ja, ist ein leichter Vorgeschmack auf eine Reise in die Provence.“ Er hat es noch immer nicht kapiert, dass das in diesem Jahr nichts wird. Er blättert in Reiseführern und faselt von der Zitronenstadt Menton. Was, bitte, will er mit Zitronen, die sind ihm doch viel zu sauer? Dann wiederum möchte er die Ockerfelsen in Roussillon sehen. Da habe ich ihm gleich gesagt, dass er sich das nicht zu romantisch vorstellen soll. Einmal durch die Ockerfelsen gestapft und das Fell an seinen Tatzen ist blutrot, als habe er sich gerade die Ferse abgehackt, wie eine der bösen Schwestern bei Aschenputtel. Das kann er doch nicht wirklich mögen! Doch er bleibt hartnäckig und ich muss mir sagen lassen: „Zottel, du hast ja keine Ahnung, wenn du einmal in Nizza einen Loup de mer oder eine Bouillabaisse gegessen hast, dann vergisst du alles, was du jemals über Lachs gehört hast.“ Was für ein elender Snob, mein Bruder! Ich hoffe nur, mein Freund Fritz liest jetzt diese Zeilen nicht. Er brät mir doch immer diese leckeren Lachsfilets.

Heute regnet es hier in Strömen, Heinrichs Laune ist entsprechend schlecht. Als er vorhin anfing, mir seufzend etwas von dem strahlend blauen Himmel an der Côte d’Azur vorzuschwärmen und von der Sonne, die dort so wohlig auf den Pelz brennt, hat es mir gereicht: „Wenn du nicht gleich mit deinem arroganten Getue aufhörst, weht dir hier drei Tage lang der Mistral um die Ohren, dass dir Hören und Sehen vergeht.“ Für alle, die es nicht wissen, der Mistral ist ein kalter Nordwind, der manchmal in die Provence einfällt und bei Mensch und Tier eine gereizte Stimmung auslöst. Um ehrlich zu sein, das mit der Stimmung klappt hier auch ganz ohne Mistral.