Wie kann das ein Buch werden? |
Mein Bruder sah ab und zu zu mir herüber
und meinte irgendwann: „Warum machst du das eigentlich? Glaubst du, es macht dich
glücklich, wenn du vor aller Welt dein Leben ausbreitest? Die meisten Menschen
interessieren sich doch nur für sich selbst. Ausgenommen, du hast was wirklich
ganz Besonderes zu bieten.“ Er hatte
wohl nicht recht nachgedacht und so meinte ich versöhnlich: „Aber, lieber
Heinrich, mein Leben ist was ganz Besonderes, es ist nämlich einmalig.“ Mein
Bruder grinste und ließ vernehmen: „Oho, du hältst dich für was Besonderes. Wie
bescheiden!“ Ich hatte den Eindruck, er war neidisch, weil er selbst kein Buch
über sein Leben veröffentlichen konnte, und hielt mich mit einem Kommentar
zurück. Es half mir allerdings nicht, meinen Wirrwarr an Zetteln zu ordnen und
ich stöhnte und seufzte weiterhin laut vor mich hin.
Mein Bruder nervt und merkt es nicht |
Heinrich ließ ganz langsam das
Kochbuch sinken und sah mich an, wie nur Freiherr von Furchensumpf gucken kann.
„Ich glaube, ich hör wohl nicht richtig! An unsere gemeinsame Überfahrt von
Asien erinnert sich mein Herr Bruder aber noch, oder? Und danach war ich über
viele Jahre bei Jens und könnte Seiten füllen mit dem, was ich dort erlebt
habe.“ – „Dann tu es doch!“, fuhr ich dazwischen. Doch mein Bruder war noch
nicht fertig: „Und wer wurde ausgesetzt und saß verloren auf einem Mäuerchen,
bis mich dein Freund, der Dings, mitgenommen hat?“ – „Der Dings heißt Uwe.
Uwe heißt er“, erlaubte ich mir
einzuwerfen. Heinrich war aber nicht zu stoppen: „Und dann meine Reise mit Gina nach Frankreich, wo ich Baby-Lou kennengelernt habe. Danach meine Augen-OP.“
Aber das ist natürlich alles nichts im Vergleich zu dem, was mein wunderbarer, einmaliger
Bruder erlebt hat.“
Mit einem Mal stand Cara im
Türrahmen und fragte noch mit halbvollem Mund: „Wassen hier los?“ Möglicherweise
war sie durch das hektische und raschelnde Blättern in meinem
Papierberg hellhörig geworden oder durch unser Wortgefecht, denn Heinrich war
immer lauter geworden und auch jetzt in seinem Redefluss nicht aufzuhalten. „Mein
Herr Bruder kommt mit seinem Buch nicht zurecht und ist jetzt sauer. Das ist
hier los. Und nachdem er es abgelehnt hat, sich von dir helfen zu lassen, würde
ich vorschlagen, back ihm einen Zitronenkuchen, der passt dann zu seiner
Stimmung. Aber vergiss nicht, eine dicke Schicht Zitronenguss darüber zu
gießen.“ Cara antwortete ganz ruhig: „Ich backe euch gern einen Kuchen. Doch
leider habe ich für den Guss keine Zitronen im Haus, nur Orangen.“ – „Auch gut“,
meinte Heinrich, „Orange, die Farbe der Kreativität und großen Einsicht.
Vielleicht hilft’s ja!“