Auch in diesem Jahr bin ich meinem
Urinstinkt gefolgt und habe einen kurzen Winterschlaf gehalten. Eine große Müdigkeit hatte
mich befallen und da habe ich mich nicht gequält, sondern aufs Ohr gelegt und
einfach mal nichts getan. Cara sagt, sie hätte auch gern mal nichts getan, aber
eine müsse ja die Brötchen verdienen. Mein Bruder hat ihr zugestimmt und
hat die Brötchen gebacken. Er hatte ein neues Rezept entdeckt. Es ist kaum zu
glauben, wo es in diesem Land doch so viele Brotsorten gibt, da findet er noch
ein neues Rezept. Ich kann nichts dazu sagen, ob die Dinger geschmeckt haben,
denn ich habe die Brötchen-Premiere verschlafen. Auf jeden Fall musste Cara
nicht wieder zum Zahnarzt oder sie hat das Zeug erst gar nicht probiert.
Nun bin ich genau zur
Faschingszeit wieder aus dem Dämmerschlaf aufgewacht, und das mit einem
Bärenhunger. Glücklicherweise hat man
mich aber bis jetzt mit den Berlinern verschont, die es seit Neujahr in den
Bäckereien gibt. Damit es keiner missversteht, die liegen da nicht seit Neujahr herum, sondern werden täglich neu
gebacken. Und die Menschen kaufen und essen diese Fett-Ballen, können scheinbar
nicht genug davon bekommen und wundern sich, dass sie immer dicker werden. Doch
bald ist ja Valentinstag. Da kommen andere süße Sachen ins Regal, die eher nach
meinem Geschmack sind. Kekse mit rotem Zuckerguss zum Beispiel oder
Schokoladentörtchen mit einem roten Marzipanherzen oben drauf.
Ja, man muss die Feste feiern,
wie sie fallen, sagte schon Caras Opa. Und bei uns findet am Sonntag, gleich
nach dem Valentinstag, eine Party statt, denn in dieser Stadt wird gewählt. Es
ist Tradition, dass Cara dann ihre Freunde einlädt und jeder etwas Leckeres zu
essen mitbringt. Kaum ist die erste Hochrechnung durch, erlahmt das Interesse
am Politgeschehen und alle machen sich über das Essen her. Dann steht im Grunde
nämlich fest, wer Einzug in die Bürgerschaft hält, wer das Rennen gemacht hat
und Erster Bürgermeister wird. Das darf ich so natürlich nicht sagen, dann
heißt es gleich voller Empörung, es bleibe bis zum Schluss spannend. Es komme auf die Sitzverteilung an, ob man
einen Koalitionspartner brauche und wer dafür infrage käme. Außerdem könne es manchmal für die eine oder andere Partei ganz schön knapp
werden, auch mit den 5%.
Cara hat übrigens schon gewählt.
Ob sie das mit der Hilfe des Wahl-O-Mats
oder ohne hingekriegt hat, weiß ich nicht. Doch sie will mir auf keinen Fall
verraten, wo sie ihre Kreuzchen hingesetzt hat. Da macht sie ein
Riesengeheimnis drum. Die Wahlen seien schließlich geheim und sie sei sehr,
sehr froh, in einem Land zu leben, wo Demokratie herrsche.
Oh, sie mag gern in diesem Land
leben!? Neulich klang das noch ganz anders. Ich habe vergessen, was passiert
war. Doch sie war stinkwütend, zerknüllte die Zeitung zu einem Ball und kickte
ihn in den Papierkorb. Ich dachte, Rumpelstilzchen sei bei uns zu Gast, so
außer Rand und Band schrie sie: „Ich glaube, ich will in diesem bekifften Land
nicht länger leben!“ Als ich sie fragte, welches denn ihr Traumland sei und
warum, bekam ich zur Antwort, das werde ich dann schon sehen. Also wenn man
mich fragt, entweder kann sie sich nicht entscheiden oder es muss wieder geheim
bleiben. Denn schließlich hält sie viel von Demokratie.