Donnerstag, 6. August 2015

Nachbarschaft – nicht immer einfach zu leben


Sommeridylle
Seit ein paar Monaten haben wir einen neuen Nachbarn. Er hat sich artig bei allen Bewohnern vorgestellt. Zu meinem Bedauern habe ich das nicht mitbekommen, finde aber, dass sich das so gehört, wenn man irgendwo neu ist. Leider geschieht das nur noch sehr selten. Aus diesem Grund hatte der Nachbar schon mal einen Bonus bei mir und ich nannte ihn insgeheim unsere Mai-Sonne. 

Doch was sich im Mai noch so sonnig zeigte, bekommt jetzt atmosphärische Störungen. Sommeridylle, ade! Vielleicht liegt es an der Schwüle der heißen Tage. Da kommt bei vielen das Blut schnell in Wallung. So auch bei Cara. Sie spricht von ihm nur noch als von dem Grafen und guckt dabei böse. Dabei ist er gar kein Graf, denn welcher Adlige heißt schon Faulleitner!? Im Grunde muss man ihn für den Namen bedauern. 

Da ich nicht verstanden habe, warum sie ihn jetzt als den Grafen tituliert, habe ich nach dem Grund gefragt.  Da hat sie aber laut losgelegt, sodass ich gleich in Deckung ging: „Der Kerl macht einen auf „Ich bin der Nette“, aber kaum zwei Monaten später hat er vergessen, dass man „Guten Tag!“ sagt, wenn man seinen Nachbarn begegnet. Das ist mir jetzt schon mehrfach aufgefallen und nicht nur mir. Der kriegt die Zähne nicht auseinander und kann nur noch huldvoll nicken wie eine Diva.“ 
Ich versuche mich mal als Moderator
 
Nun soll man ja nicht gleich das Schlechteste von jemandem denken, dass er arrogant sei oder hochnäsig, sich als was Besseres empfindet. Ich versuchte es vorsichtig mit dem Einwand: „Vielleicht hat er eine schlimme Mandelentzündung und kann nicht sprechen. Oder er war beim Zahnarzt und hat fiese Lücken zwischen den Zähnen, die er nicht zeigen will.“ Doch alles Werben um Verständnis für den armen Herrn Faulleitner fiel nicht auf fruchtbaren Boden, im Gegenteil. Cara legte jetzt erst richtig los: „Nein, die fiesen Lücken hat der woanders, nämlich in seinem verqueren Oberstübchen. Der hält sich für was Besseres. Ich höre doch, wenn er den Bewohner unter uns trifft, der im Staatsorchester  Flöte  spielt. Dann lässt der Graf im sonoren Bariton seine Stimme erschallen. Und sie reden und reden. Da hauen sich die beiden nur so die Banalitäten um die Ohren, dass es nicht mehr auszuhalten ist. Sozusagen von Künstler zu Künstler, für den sich der Graf wohl hält. Alle anderen sind für ihn der Plebs im Haus.“ Da hatte sie aber Dampf abgelassen und den netten Flötisten gleich mit die Flötentöne beigebracht.

Ich ließ sie erst einmal ein Weilchen in Ruhe und einen dicken Riegel Schokolade verdrücken. Dann fragte ich sie: „Warum regt dich das denn so auf? Wenn der Graf nicht grüßt, dann macht er vielleicht seinem wahren Namen alle Ehre. Nick doch einfach zurück.“ Da grinste Cara und stellte sich vor den großen Spiegel. Jetzt übt sie schon seit einer Weile huldvolles Nicken. Ein bisschen muss sie noch dazulernen, dann ist sie hier die Gräfin.