Ich musste mal raus, ein Mal allein sein |
Am letzten Sonntag bin ich am
Nachmittag in den Stadtpark gegangen. So gegen 16 Uhr war es noch hell. Und ein Bär
braucht mal frische Luft und auch den Wald. Ich habe das Alleinsein genossen, mal
ohne meinen Bruder und seine Kochideen, ohne Zottelinchen und ihre Pirouetten
und ohne Baby Lou mit seiner überbordenden Fröhlichkeit. Ganz klar, ich war in
meinem Element. Dachte ich. Doch die Dunkelheit kam plötzlich und ich wusste
nicht mehr, wo ich war. Menschen waren auch nicht unterwegs. Da stand ich im finsteren
Wald wie dereinst Hänsel und Gretel, nur hatte ich keine Brotkrumen gestreut. Das war ein Fehler. Und ich habe es bereut,
dass Cara mit ihrem untrüglichen Orientierungssinn nicht bei mir war, denn sie
sagt so oft: “Ich weiß schon, wohin das führt“ oder „da weiß man doch gleich,
wo es langgeht“. Unglaublich, wie ich umhergeirrt bin und dann wurde ich
müde und bin eingeschlafen. Da lag ich nun
wie ein Penner-Bär im Gebüsch und es war gar nicht gemütlich, denn die Abende
sind schon verdammt kühl.
Dann kam das Erwachen. Ich hörte
Stimmen, erst ganz leise, dann etwas deutlicher. Nun sah ich auch Lichter. Was
war das? Eine Gruppe Kinder mit ihren bunten Laternen kamen immer näher
und sangen: „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne … mein Licht ist aus, wir
geh ‘n nach Haus“. Oh ja, nach Hause, das war meine Chance, einfach hinter den
Kindern hergehen. Doch so einfach war das nicht, mir tat jeder Knochen weh, so
steif waren meine Arme und Beine in der Kälte geworden.
Mit einem Mal hörte ich aus der Ferne eine Erwachsenenstimme. Sie sang aber
nicht, sondern rief: „Zottel!“, dann
etwas lauter und verzweifelter:“ Zot-telll!“ Das war Cara, eindeutig. Als sie mich endlich fand, sagte sie immer
wieder: „Zottel, Zottel, Zottel.“ So oft hatte ich meinen Namen noch nie
gehört. Sie hatte mich vermisst. Was für ein schönes Gefühl!
Wer jetzt denkt, was für eine süßlich
kitschige Geschichte, der kennt das Ende noch nicht. Zuhause überfiel mich Schüttelfrost
und ich wurde sofort in eine dicke Decke gepackt. Schlucken konnte ich auch nicht
mehr, Halsschmerzen. Dann kam, was ich schon befürchtet hatte, ich musste widerlich
schmeckenden Salbeitee trinken. Zottelinchen hörte auf, sich um sich selbst zu
drehen und drehte so lange Apfelsinenhälften auf der Presse, bis
sie ihren Saft hergaben. Sie, die nie spricht,
sagte:„Vitamine sind jetzt wichtig.“ und ich musste das Zeug trinken, obwohl es
im Hals höllisch brannte. Heinrich kochte mir eine Hühnersuppe und auch die habe
ich tapfer ausgelöffelt. Doch als er anfing zu erklären, warum sie so gut sei,
habe ich mich schlafend gestellt. Das war dann doch zu viel für mich.
Ich habe gelitten |
So ging
das eine ganze Woche. Doch das Schlimmste war, dass ich nun wusste, ich habe meinen
Instinkt verloren. Ich bin zu einem verweichlichten Bären geworden, der sich in
der Wildnis nicht mehr zurechtfindet. Das
setzt mir schwer zu und ich frage mich, wie konnte das nur passieren!