Sonntag, 10. November 2013

Ich war dann mal weg


Ich musste mal raus, ein Mal allein sein
Ich war dann mal weg, wenn auch nicht ganz freiwillig. Nein, es hat mich niemand weggesperrt, wie es ehemals Harry Potter geschah. Ich sage es ungern, ich habe mich verlaufen.

Am letzten Sonntag bin ich am Nachmittag in den Stadtpark gegangen. So gegen 16 Uhr war es noch hell. Und ein Bär braucht mal frische Luft und auch den Wald. Ich habe das Alleinsein genossen, mal ohne meinen Bruder und seine Kochideen, ohne Zottelinchen und ihre Pirouetten und ohne Baby Lou mit seiner überbordenden Fröhlichkeit. Ganz klar, ich war in meinem Element. Dachte ich. Doch die Dunkelheit kam plötzlich und ich wusste nicht mehr, wo ich war. Menschen waren auch nicht unterwegs. Da stand ich im finsteren Wald wie dereinst Hänsel und Gretel, nur hatte ich keine  Brotkrumen gestreut. Das war ein Fehler. Und ich habe es bereut, dass Cara mit ihrem untrüglichen Orientierungssinn nicht bei mir war, denn sie sagt so oft: “Ich weiß schon, wohin das führt“ oder „da weiß man doch gleich, wo es langgeht“. Unglaublich, wie ich umhergeirrt bin und dann wurde ich müde und bin eingeschlafen. Da lag ich nun wie ein Penner-Bär im Gebüsch und es war gar nicht gemütlich, denn die Abende sind schon verdammt kühl. 

Dann kam das Erwachen. Ich hörte Stimmen, erst ganz leise, dann etwas deutlicher. Nun sah ich auch Lichter. Was war das? Eine Gruppe Kinder mit ihren bunten Laternen kamen immer näher und sangen: „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne … mein Licht ist aus, wir geh ‘n nach Haus“. Oh ja, nach Hause, das war meine Chance, einfach hinter den Kindern hergehen. Doch so einfach war das nicht, mir tat jeder Knochen weh, so steif waren meine Arme und Beine in der Kälte geworden. Mit einem Mal hörte ich aus der Ferne eine Erwachsenenstimme. Sie sang aber nicht, sondern rief: „Zottel!“, dann  etwas lauter und verzweifelter:“ Zot-telll!“ Das war Cara, eindeutig.  Als sie mich endlich fand, sagte sie immer wieder: „Zottel, Zottel, Zottel.“ So oft hatte ich meinen Namen noch nie gehört. Sie hatte mich vermisst. Was für ein schönes Gefühl!

Wer jetzt denkt, was für eine süßlich kitschige Geschichte, der kennt das Ende noch nicht. Zuhause überfiel mich Schüttelfrost und ich wurde sofort in eine dicke Decke gepackt. Schlucken konnte ich auch nicht mehr, Halsschmerzen. Dann kam, was ich schon befürchtet hatte, ich musste widerlich schmeckenden Salbeitee trinken. Zottelinchen hörte auf, sich um sich selbst zu drehen und drehte so lange Apfelsinenhälften auf der Presse, bis sie ihren Saft hergaben. Sie, die nie spricht, sagte:„Vitamine sind jetzt wichtig.“ und ich musste das Zeug trinken, obwohl es im Hals höllisch brannte. Heinrich kochte mir eine Hühnersuppe und auch die habe ich tapfer ausgelöffelt. Doch als er anfing zu erklären, warum sie so gut sei, habe ich mich schlafend gestellt. Das war dann doch zu viel für mich. 
Ich habe gelitten
 
So ging das eine ganze Woche. Doch das Schlimmste war, dass ich nun wusste, ich habe meinen Instinkt verloren. Ich bin zu einem verweichlichten Bären geworden, der sich in der Wildnis nicht mehr zurechtfindet. Das setzt mir schwer zu und ich frage mich, wie konnte das nur passieren!