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Die Zeit zwischen den Jahren |
In diesem Jahr gab es bei uns
keine Weihnachtsgeschenke. Das hatten wir vorher so vereinbart. Heinrich hat
zwar erst gemault, weil er sich schon
auf ein Kochbuch gefreut hatte, das erst kürzlich erschienen war und er
unbedingt haben wollte.
Doch letztlich hat er eingelenkt,
weil ihm versprochen wurde, das was Leckeres auf den Tisch käme und er ein
Wörtchen mitzureden habe, was das sei.
Also haben wir gut und viel gegessen, was immer versöhnlich stimmt. Am
Heiligabend gab es Ente à l’orange. Während wir es uns schmecken ließen, haben
wir Wilsberg geguckt, einen der Münsteraner Krimis, die Cara so liebt.
Sie hatte gekocht, also durfte sie auch bestimmen, was wir uns im Fernsehen
anschauen. Und wie es der Zufall so will, kam auch dort eine Ente à l’orange
vor.
Wer nun denkt, wir hätten über
die Festtage nur stur in die Glotze geschaut, der irrt sich. Es wurde viel
gelesen, vorgelesen, denn auch das bildet. Cara hatte ein Buch über die
Raunächte hervorgekramt. Für alle, die sich damit nicht so gut auskennen, es
ist ein heidnischer Brauch. Man soll sich die Träume in den 12 Nächten,
beginnend mit dem 25. Dezember bis zum 6. Januar, gut merken, denn sie stehen
für die 12 Monate des nächsten Jahres. Mir kam das Ganze etwas unheimlich vor.
Da ist man ja so festgelegt, nur weil man
– was auch immer – geträumt hat.
Und in der vierten Raunacht
passierte es dann auch. Es war die Nacht vom 27. auf den 28. Dezember. Sie gilt
als die Nacht der Auflösung. Gemeint ist damit eigentlich, dass man das Alte,
das im Vorjahr nicht perfekt gelaufen war, beiseite packen und sein Denken auf
das Neue, Wünschenswerte, richten soll. Mir war das alles zu kompliziert.
Außerdem hatte ich auch recht viel gegessen und war entsprechend müde. Ich
haute mich also aufs Ohr. Und damit mich niemand vermisste, legte ich mich auf
mein Kissen zwischen die Bücher, die Cara von Freunden und Nachbarn geschenkt
bekommen hatte und in ihrem Zimmer aufbewahrte. Coole Idee, so würde ich
unentdeckt bleiben. Leider hatte ich nicht bedacht, dass Cara auch zu später Stunde,
nach zwei oder gelegentlich drei Gläsern schweren Rotweins, noch mal in eines
der Bücher blickt, bis es ihr aus der Hand rutscht und zuklappt. So geschah es
auch in dieser Nacht. Dummerweise war ihr nicht aufgefallen, dass ich zwischen
die Seiten des dicken Wälzers geraten war. Und ich hatte es auch nicht bemerkt,
da ich tief und fest schlief wie das sprichwörtliche Murmeltier. Den Druck, den
ich verspürte, und die leichte Atemnot
führte ich auf das üppige Essen zurück und dachte an nichts Böses.
Am nächsten Morgen waren wieder
alle so sehr mit sich beschäftigt und redeten wild durcheinander, lachten, dass
es ihnen gar nicht auffiel, dass ich nicht erschien. Auch mein Rufen aus Caras
Zimmer blieb ohne Reaktion. Waren sie denn alle taub? Nein, meine Stimme war so
schwach, weil ich zwischen den Seiten eingequetscht war. Das war eine verdammt
missliche Situation.
Irgendwann – so drei Tage später – war meine Abwesenheit wohl
meinem Bruder aufgefallen und er fragte in die Runde: „Wo steckt eigentlich
Zottel?“ Betroffenes Schweigen, denn niemand wusste was. Nun ging das Suchen
los. Das war mein Glück. Als Cara mich fand, stieß sie einen schrillen Schrei
aus und machte ein entsetztes Gesicht, als hätte sie Edvard Munch Modell gestanden.
Sofort kamen alle angerannt. Der Anblick war für die anderen nicht schön und
alle blickten betreten zu Boden. Ich hatte mich wohl sehr verändert.
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Zwischen dem dicken Wälzer |
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Ich war platt |
Mein Bruder fand als Erster die
Sprache wieder und sagte in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: „Als
erstes muss er trinken.“ – „Zottel,
willst du einen Kakao oder eine Hühnerbouillon?“ Mir war es wurscht und ich
antwortete völlig sinnfrei: „Ja“. Ab diesem Moment stand ich im Mittelpunkt,
und das rund um die Uhr bis zum Neujahrstag. Ich war wohl der Einzige, der
über Weihnachten an Gewicht verloren hatte, und das nicht zu knapp.
Doch inzwischen habe ich zu
meiner alten Form zurückgefunden. Das habe ich vor allem meinem Bruder zu verdanken,
denn er hat mich fürsorglich mit den leckersten Häppchen gefüttert und dabei
erklärt, wieviel Nährwert in welchem Käse, Fisch, Fleisch, Marzipanbrot und Lebkuchen steckt. Glücklicherweise kann ich beachtliche
Mengen verputzen und nehme auch schnell zu, wie man erkennen kann.
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Heinrich hat mich aufgepäppelt, wie nur ein Bruder es kann. |
Ich weiß ja nicht, was meine
LeserInnen so von den Raunächten halten. Also ich brauche solch ein Erlebnis
kein zweites Mal. Doch egal wie ihr zu diesem Orakelkram steht, ich wünsche
euch allen ein gutes 2018 bei bester Gesundheit! Und falls ihr mal ein paar
Kilo zu viel auf den Rippen habt, kennt ihr ja jetzt eine neue Diät.
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Viel Glück für 2018! |