Gestern war Herbstanfang und die
Sonne schien. Da musste ich Cara recht geben, auch der Herbst hat seine schönen
Tage. Das sagt sie nämlich häufiger, auch wenn gar kein Herbst ist. Dann schaut sie
verträumt in die Gegend und wirkt nachdenklich. Mir kann sie aber nichts
vormachen. Ich weiß genau, dass der Sommer ihre Lieblingsjahreszeit ist. Da fliegen
ihr bei 30 Grad nur so die Gedanken zu
und sie sitzt in ihrem bunten Sommerkleidchen am PC, arbeitet in rasender Geschwindigkeit,
hat gute Laune, weil sie weiß, dass sie abends Freundinnen trifft und mit ihnen
noch lange auf der Terrasse sitzt, bei einem Glas Rosé ein schönes Essen und die laue Luft genießt.
Da es gestern aber tatsächlich
ein sonnig warmer Herbsttag war, habe ich die Gelegenheit zu einem langen
Spaziergang genutzt und dabei Eicheln gesammelt und auch ein paar Kastanien
gefunden. Meine Beute habe ich dann auf dem Balkon ausgelegt, mich daran
erfreut und noch die letzten Sonnenstrahlen genossen. Als mein Bruder die
Eicheln sah, fragte er: „Was machst du jetzt damit?“ „Nichts mache ich damit.
Die bleiben da so liegen. Oder glaubst du, ich stecke da jetzt Streichhölzer hinein
und sage je nach deren Länge Oh, was für
ein hübsches Pferd habe ich da gebastelt! oder Oh, was für ein niedlicher
kleiner Hund ist das geworden!? Und wenn
die Kastanien nach einigen Tagen nicht mehr so schön glänzen, werde ich nicht
Caras teure Nachtcreme nehmen und sie damit aufpolieren. Es bleibt alles einfach
mal so, wie es ist.“
Ich war wohl etwas laut geworden,
denn plötzlich stand Cara auf dem Balkon, nahm versonnen einen Schluck von
ihrem Tee und nuschelte in den Becher: „Wassen los, Zottel? Hattest du keinen
schönen Tag?“ „Doch, bis jetzt jedenfalls“, gab ich zurück. „Dann ist es ja gut. - Oh, dieser Tee ist köstlich, wirklich was
ganz Besonderes!“ Da wurde mein Bruder hellhörig und wollte mehr erfahren: „Wieso
besonders?“ „Da ist ein bisschen Chili und Schokolade drin und das gibt ihm
diesen wundervollen, außergewöhnlichen Geschmack.“ Ich dachte, ich hätte mich
verhört. Müssen wir denn jetzt in Bratensoße Schokolade krümeln, Schokolade essen,
in der Chili ist, und nun auch noch Tee mit Chili und Schokolade trinken?
Meinem Bruder gefiel das
natürlich. Kulinarische Neuheiten sind für ihn ein Grund zur Freude. Neulich hat
er Cara überredet, ein Tütchen von diesem grünen Tee zu kaufen, den es als Pulver
gibt und von dem 30 g immerhin 19,95 Euro kosten, und das war noch die
preiswerteste Sorte, aber dafür BIO und in einer Dose. Dazu musste man ein
Schälchen und einen Besen erwerben. Mein Bruder hat dann das Pulver mit Wasser
in die Schale befördert und sich als Schaumschläger betätigt. Das Resultat sah
aus, wie es der Name Matcha erwarten ließ, und der Tee entpuppte sich als eine äußerst bittere Angelegenheit. Ich habe hinterher mehrere
Honigbonbons lutschen müssen, um den Geschmack wieder loszuwerden. Heinrichs Ausführungen
über dieses so gesunde Getränk habe ich allerdings keine Beachtung mehr
geschenkt. Also wenn schon Tee, dann bitte schwarz und ohne exotische Zusätze,
wie Mango, Ananas, Papaya oder Schokolade und Chili.
Als ich dann noch erfuhr, dass dieser
Chili-Schokoladen-Tee ein Geschenk von Lisa war, fiel mir gar nichts mehr
ein. Lisa ist Caras Freundin, der ich mal im Garten bei der Beerenernte und
beim Marmeladekochen geholfen habe. Von ihr hätte ich diesen Schnickschnack am
wenigsten erwartet. Aber auch sie scheint sich zu verändern. In diesem Jahr hat
sie an einige ihrer Marmeladen Rum oder
Whiskey gegeben. Das verkauft sich wohl besser. Morgens ein Toastbrot mit solch
einer Marmelade mit Schuss und schon kann der Mensch viel entspannter seiner
öden Arbeit nachgehen. Ich weiß zwar nicht, ob das der richtige Weg aus der Freudlosigkeit ist, aber ich bin ja auch nur ein Bär.
Da gefiel mir ein Spot besser, der vor einigen Jahren im Fernsehen lief und in dem eine schlanke Frau fröhlich tanzte und sang „Ich will so
bleiben, wie ich bin“ und sie als göttliche Antwort erhielt „du darfst!“. Das war nach meinem Geschmack. Und an ihrer
Fröhlichkeit konnte man erkennen, dass das wohl ein guter Weg war.
Nun hatte ich mich gestern nach
dem schönen Spaziergang doch ziemlich aufgeregt. Mag ja sein, dass der Herbst
auch seine schönen Tage hat, der gestrige gehörte für mich jedenfalls noch
nicht dazu.