Mein Bruder kann auf dem rechten
Auge nur noch alles verschwommen sehen. Ein großes Handycap für ihn, wo er doch
so gern Kochbücher anschaut. Da guckt er vielleicht so wie Clarence, der Löwe
aus Daktari. Der Augenarzt sagte, es müsse operiert werden, dann würde alles
wieder gut. Keine große Sache.
Keine große Sache, das sagen sie
gern die Medizinmänner, wenn es sie nicht selbst betrifft. Doch Cara und ich
machten uns Sorgen. Aber da musste Heinrich nun durch. Gestern war der Tag der
OP. Unser Nachbar hat uns hingefahren, denn Cara hat ja kein Auto. Kaum war
Robert ein Stück gefahren, rief sie: „Mist, Mist, Mist!“ In der Aufregung hatte sie
vergessen, ihren Anrufbeantworter anzustellen und nun rechnete sie damit, dass
die Anrufe von Kunden ins Leere gingen. Das drückte nochmals auf die Stimmung,
aber nicht lange, denn Robert fing an zu singen: „Kein Schwein ruft mich an,
keine Sau interessiert sich für mich“. Da haben wir gelacht, sogar Heinrich,
der doch ein bisschen Angst hatte. Und ich habe mich gewundert, dass Robert so
gut Max Raabe nachmachen konnte.
Endlich waren wir da und gingen
ganz langsam die Stufen hoch zur Praxis. Wir mussten nicht lange warten.
Heinrich durfte gleich in den OP und Cara konnte ihn begleiten. Ich musste im Wartezimmer
bleiben. Das habe ich nicht verstanden, schließlich bin ich sein
Zwillingsbruder. Und schon machte ich mir noch mehr Sorgen um Heinrich. Robert
durfte auch nicht mit in den OP. Für ihn war es aber auch Essenszeit und damit
der Moment, um sich zu verabschieden. Man muss nämlich wissen, er isst immer
Punkt 13 Uhr. Gewohnheit ist eben Gewohnheit. Darum war ich umso verwunderter, dass er bei mir blieb. Er
habe gut gefrühstückt und könne das Mittagessen ausfallen lassen. Schnell griff
er zu einer Frauenzeitschrift, die dort
auslag. Na, toll, zwei Männer lesen in einer Frauenzeitschrift! Doch dann kam
mir eine Idee: „Du, Robert, können wir nicht die Rezepte aus dem Heft
herausreißen? So als Überraschung für Heinrich, wenn er wieder sehen kann?“ Ja,
wenn…. Und schon war sie wieder da, die Angst, dass die OP misslingen könnte.
Also, Rezepte wollte unser Nachbar nicht herausreißen, denn die Zeitschrift
gehöre ja dem Arzt. Aber wir haben ein bisschen weiter geblättert und da gab es
Sudokus zu lösen. Ha, wie toll! Da war ich in meinem Element. Leider hatte ich
keinen Bleistift dabei, aber Robert. Als hätte er das geahnt. Eines muss ich aber
sagen, er hatte null Ahnung von Sudokus. Ich musste ihm alles haarklein
erklären, manchmal sogar zwei oder drei Mal. Er war richtig kleinlaut, dafür knurrte sein
Magen umso geräuschvoller. Da dämmerte es mir, er hatte tatsächlich meinetwegen
auf sein Mittagessen verzichtet. Das nenn ich mal Freundschaft!
Kaum hatten wir zwei Sudokus
gelöst, ging auch schon die Tür auf und Cara kam herein, auf wackeligen Füßen
und ganz weiß im Gesicht. „Wo ist Heinrich?“, rief ich voller Panik. Sie
hauchte nur: „Alles gut, Zottel, er soll sich nur noch etwas ausruhen. Aber ich
muss so eine OP kein zweites Mal mitansehen.“ Da holte Robert seinen silbernen
Flachmann aus der Jackentasche und hielt ihn Cara hin. „Nee, lass mal, ich habe
noch nicht mal gefrühstückt vor lauter Aufregung.“ - „Los, runter damit!“ Und haste nicht gesehen,
schon schoss ihr die Röte ins Gesicht, als hätte jemand etwas Peinliches gesagt.
Sie nahm gleich noch einen zweiten Schluck und seufzte: „Ja, das tat gut.“ Und noch besser tat es, als
die Tür aufging und die Assistentin mir meinen Zwillingsbruder brachte. Er trug
zwar eine alberne Augenklappe, aber dafür sein Schicksal ganz tapfer und
meinte: „Heute Abend koche ich für euch etwas ganz Besonderes. Ihr werdet schon
sehen.“ „Na, dann ab ins Auto!“, sagte Robert prompt, denn schließlich hatte er
Hunger.
Heinrich geht es schon wieder gut und Zottel auch |